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Schutz der Biodiversität überall in der Welt? Natürlich! – Artenschutz bei uns? Ach nee, lieber nicht!
Es gehört zu den ständigen Themen der Bundesumweltministerin Svenja Schulze, auf die Notwendigkeit des Schutzes der biologischen Vielfalt hinzuweisen, so z.B. auch in einer Pressemitteilung Nr. 193/21 vom 04. August 2021: „Schulze: Wir brauchen eine Trendwende beim Verlust der biologischen Vielfalt“. Darin heißt es einleitend: „Trotz vielfacher Gegenmaßnahmen, die die Bundesregierung im Rahmen der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt bereits beschlossen und umgesetzt hat, besteht weiter großer Handlungsbedarf, um den Verlust der biologischen Vielfalt in Deutschland zu stoppen. Dies ist das Ergebnis des vom Bundesumweltministerium vorgelegten Rechenschaftsberichts 2021 zur Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt (NBS), den die Bundesregierung heute beschlossen hat. Die Naturschutzfinanzierung wurde in den vergangenen Jahren kontinuierlich aufgestockt, insbesondere für Maßnahmen zum Insektenschutz und das Bundesprogramm Biologische Vielfalt. In dem umfassenden Bericht legt die Bundesregierung wie in jeder Legislaturperiode dar, mit welchen Maßnahmen sie die biologische Vielfalt in Deutschland erhält und schützt.“
Wie aber sehen die eigenen Aktivitäten und Leistungen des Bundesumweltministeriums (BMU) tatsächlich aus? Als Nagelprobe muss dienen, wie der Schutz der in Deutschland vorkommenden ca. 76.000 Tier- und Pflanzenarten bei Plänen und Projekten – vom Bau einer Autobahn über die Errichtung von Windkraftanlagen bis hin zu Schweineställen oder der Aufstellung von Bebauungsplänen – und in der Land- und Forstwirtschaft Platz findet.
Bis zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes waren dabei wenigstens alle gesetzlich besonders geschützten Tier- und Pflanzenarten zu berücksichtigen. Das sind ca. 2885 der etwa 76.000 Arten, also 3,4 %. Alle übrigen Tier- und Pflanzenarten unterfielen lediglich der Eingriffsregelung. 2017 wurde das Bundesnaturschutzgesetz unter Federführung des BMU allerdings so angepasst, dass künftig die lediglich national geschützten Arten bei Planungen nicht weiter von den artenschutzrechtlichen Bestimmungen des § 44 Bundesnaturschutzgesetz profitieren sollen: Da waren’s nur noch ca. 484 von 76.000 Arten (ca. 0,64 %). Durchs Raster sind beispielsweise sämtliche einheimischen Wildbienenarten (ausgerechnet die Bienen!), die meisten Libellen- und Amphibienarten sowie ganze Käfergruppen und etliche Schmetterlingsarten gefallen. Ihr Wohlergehen ist seither – wie das der übrigen, ungeschützten Arten auch – der Beliebigkeit in der praktischen Handhabung der Eingriffsregelung ausgeliefert und stehen auf einer Stufe mit Musca domestica.
Kleiner Feuerfalter: Besonders geschützt – nur bei Eingriffen nicht!
Damit noch nicht genug: Es ist ausgerechnet die eigene Fachbehörde, das Bundesamt für Naturschutz (BfN), welches seit Jahren beharrlich daran arbeitet, Eingriffsvorhaben in Natur und Landschaft von der Berücksichtigung des Artenschutzes noch weiter zu entlasten. Das findet seine konkrete Ausprägung in dem Bemühen, den Schutz europäischer Vogelarten, die von Gesetzes wegen eigentlich ohne Ausnahme einen strengen Schutz genießen, weiter einzuschränken und so Planungsverfahren für Gutachterbüros und Genehmigungsbehörden zu vereinfachen.
Gebänderte Prachtlibelle: Besonders geschützt – nur bei Eingriffen nicht.
Das BfN schafft unter dem Deckmantel scheinbarer Fachlichkeit den ideologischen Überbau, um den Artenschutz am Ende auf allenfalls 0,25 % des bei uns vorkommenden Artenspektrums zu reduzieren, um Eingriffe in Natur und Landschaft zu vereinfachen. Dass ein solcher Ansatz noch nie mit dem europäischen Naturschutzrecht vereinbar war, hat bisher in der Regel nicht gestört, weder Planungsbüros, Genehmigungsbehörden oder Gerichte. Und ob dies anders werden könnte, nachdem der Europäische Gerichtshof in seiner Skogen-Entscheidung (C-473/19) noch einmal Gültigkeit der artenschutzrechtlichen Verbote für alle europäischen Vogelarten betont hat, bleibt abzuwarten.
Es gibt auch noch das Netz Natura 2000, das Schutzgebietssystem der Europäischen Union, bestehend aus FFH- und Vogelschutzgebieten. Zielsetzung ist es, einen Grundstock an Artenvielfalt europaweit zu erhalten. Auch hier spielt die Fachbehörde der Ministerin eine unrühmliche Rolle. Denn seit 2005 wird beharrlich an sogenannten Bagatellschwellen gearbeitet, die das Verschlechterungsverbot der FFH-Richtlinie aufweichen und Plänen und Projekten flächenhafte Eingriffe erlaubt, ohne dass die strengen Ausnahmeregelungen nach europäischem Recht zu beachten wären. Die ursprünglich formulierten Begrenzungen, wonach z.B. Bagatellschwellen pro Gebiet nur ein einziges Mal in Anspruch genommen werden dürfen, sind längst gefallen. Die Praxis und auch die Gerichte bis hin zum Bundesverwaltungsgericht kümmern sich darum schon lange nicht mehr. Und so gilt auf europäischer Ebene die hehre Absicht, dass ein FFH-Gebiet nicht den „Tod durch 1.000 Schnitte“ sterben dürfe, während in Deutschland von der obersten Fachbehörde eine pseudofachliche Begründung für den Tod durch 100 Schnitte eingeführt wurde. Und die Ministerin (bzw. ihre Vorgängerinnen und Vorgänger)? Unternommen haben sie dagegen nichts!
Und schließlich zur Land- und Forstwirtschaft als flächenhafte Eingreifer: Das Bundesnaturschutzgesetz stellt sie von den Verboten des Artenschutzes weitestgehend frei, obgleich dies ebenfalls nicht mit europäischem Recht in Einklang zu bringen ist.
Dann ist da noch seit März 2010 der § 54 BNatSchG, der den Bund ermächtigt, bestimmte Arten per Verordnung unter einen besonders strengen Schutz zu stellen. Bis heute, also nach elf Jahren, hat es kein Umweltminister und keine Umweltministerin für nötig befunden, dieses Schutzinstrument mit Leben zu füllen. Bisherige Fachdiskussionen (im BfN) reichen nicht über eine kleine Zahl von Arten hinaus, die teilweise sowieso schon durch das Gesetz hinreichend geschützt sind oder eng begrenzte Vorkommen in Natura 2000-Gebieten haben, sodass der zusätzliche Schutz keinerlei Effekt hätte. Daran, dass nur kleinste Bruchteile der einheimischen Artenvielfalt gesetzlich geschützt werden, hätte sich dadurch also nichts geändert.
Angesichts dieser Aktivitäten in ihrem eigenen Hause fällt auf die Ministerin eine Aussage zurück, die sie im Zusammenhang mit der Energiewende ihrem Kabinettskollegen, Wirtschaftsminister Peter Altmaier, lt. Spiegel Online am 09.08.2021 zugerufen hat: „Dieses Verhalten ist unfassbar und höchst inkompetent“. Man könnte auch von „Systemversagen“ sprechen.
Hierzu passt ein reichlich frustriert wirkendes Interview der scheidenden Chefin des BfN, Prof. Dr. Jessel vom 31.08.2021 in der Süddeutschen Zeitung. Darin berichtet sie über all die Bereiche, in denen Naturschutz nicht vorangekommen oder gescheitert ist. Sie stellt fest: „Naturschutz erfreut sich schon einer gewissen Aufmerksamkeit. Aber Natur ist oft nur gut für schöne Bilder, es folgt daraus nichts.“ Eine aus der praktischen Sicht zutreffende Erkenntnis, schade, dass sie der Präsidentin erst an ihrem letzten Arbeitstag gekommen ist.
Stattdessen jettet man weiterhin geschäftig in der Welt herum (lt. Pressemitteilung des BMU vom 30. August 2021 nimmt Staatssekretär Jochen Flasbarth derzeit auf Einladung des kolumbianischen Staatspräsidenten an einem „hochrangigen Treffen zur Vorbereitung der 15. Weltbiodiversitätskonferenz teil“.) Danach setzt sich das BMU in den laufenden Verhandlungen beispielsweise dafür ein, 30 Prozent der Fläche an Land und im Meer unter Schutz zu stellen. „Gleichzeitig soll das Management der bestehenden Schutzgebiete qualitativ verbessert werden.“ Und zuhause? Gegen Deutschland führt die Europäische Kommission gleich mehrere Vertragsverletzungsverfahren, weil Unterschutzstellung und Management von nur 15 % der Fläche, die von europäischen Schutzgebieten in Deutschland an Land eingenommen werden, auch nach 15 Jahren Fristablauf nicht zufriedenstellend erfolgt sind.
Von der Basis ein Tipp an die Hausspitze: Es erscheint zielführender, zuerst einmal vor der eigenen Tür zu kehren, ja sogar im eigenen Haus für Ordnung zu sorgen!
Fazit: Auf die neue Bundesregierung warten gewaltige Aufgaben beim Schutz der Biodiversität!
Bilder und Text: Dr. Matthias Schreiber
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