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Allgemeines

10 m breiter Randsteifen an der Hase bei Rieste als Kompensationsfläche - 10 m???
(Bild: M. Schreiber)

Christoph Wonneberger

Allgemeines

Ersatz und Ausgleich als sog. Kompensationsmaßnahmen für Eingriffe in Natur und Landschaft sind per Gesetz vorgeschrieben, z.B. im §1 BauGB. Sie sind also nicht eine großzügige freiwillige Leistung, sondern im Rahmen der Bebauungspläne bzw. Baugenehmigung rechtsverbindlich. Es gibt verschiedene Modelle, die einen – theoretischen – Wertausgleich für die Eingriffe vorsehen. Das im hiesigen Raum meist verwendete ist das sog. Osnabrücker Kompensations-Modell. Danach wird für den Verlust einer Fläche bzw. Biotops ein sog. Eingriffsflächenwert in verschiedenen Empfindlichkeitsstufen festgesetzt.

So gilt z.B. für versiegelte Flächen der Wertfaktor (WF) 0, für Acker meist 1,0 (0,9-1,1), Hausgärten 0,8, meist aber 1,0, Graben 1,0-1,5, naturnahe Kleingewässer 2,5, Intensivgrünland 1,3-1,4, Gebüsch 2,0-3,0, Wald 2,6-3,5, naturnahes Feldgehölz 2,2, naturnahes Stillgewässer 2,9 und extrem empfindliche Bereiche der Faktor 5,0. Weitere Kompensationsmaßnahmen sind z.B. Straßenbegleitgrün mit 0,8, Aufforstung mit Laubwald, Bepflanzung von Wällen 1,3, Aufwertung von Fließgewässern 1,5-3, Streuobstwiesen 2,0, Extensivgrünland 2,2 bewertet. In manchen sog. Ökologischen Fachbeiträgen werden die Werte auch erhöht, was die Kosten für die KOM reduziert. Es gilt: Eingriffsfläche x WF= Eingriffsflächenwert = Kompensationswert (kompensierte Fläche x WF), ausgedrückt in Werteinheiten (WE). Die grundsätzliche Frage ist, ob für die massiven Eingriffe in die Landschaft überhaupt ein „Ausgleich“ geschaffen werden kann. Bisher war nicht zu beobachten, dass auf diese Weise der rapide Flächenverbrauch reduziert werden konnte. Allerdings ist die Eingriffs-Ausgleichsregelung nur der sehr bescheidene Versuch, eine gewisse ökologische Milderung der Eingriffe zu bewirken. Umso mehr sollten zumindest die planfestgestellten Minderungen der Eingriffe, also deren Kompensationen ernst genommen werden.

Die Praxis

Leider das übliche Bild: Wenige Obstbäume, weit gestreut (Bild: C. Wonneberger)

Wie stellt sich die Situation in der Praxis dar? Unter der Überschrift „Reparaturbetrieb Natur“ wurde in der Frühjahrsausgabe 2022 des Magazins „Naturschutz heute“ über Theorie und Realität, also die Umsetzung der Ausgleichsmaßnahmen in der Praxis berichtet. Beispiel 1: Im Landkreis Ebersberg/Obb. erfüllten nur 20 von 100 Ausgleichsmaßnahmen die Vorgaben, wobei 20 nicht existent waren. Nr. 2 aus Baden-Württemberg: Untersucht wurden 124 Maßnahmen von 9 Gemeinden. Nur 25 erfüllten alle Vorgaben, 33 existierten nicht, und der Rest wurde mit mäßig bis mangelhaft bewertet.

Angesichts vieler wohlwollender und deutlicher Aussagen von offizieller Seite zu dem Komplex Kompensationsmaßnahmen im Raume Osnabrück („Jede Maßnahme wird systematisch einmal kontrolliert.“) sollte es einigermaßen schwierig sein, dieses beachtliche Niveau zu erreichen. Doch das ist eine Fehleinschätzung der Lage.

 

 

Die Situation in Bohmte

Der Verein für Umwelt- und Naturschutz Bohmte hat sich in den vergangenen Jahren die Kompensationsmaßnahmen von > 50 Bebauungsplänen der Gemeinde, oft mehrfach, angesehen und auch wiederholt Verwaltung wie Politik über die festgestellten Defizite informiert sowie gebeten, diese abzustellen, leider ohne Erfolg. Fasst man das Ergebnis der durchaus mühsamen Recherchen zusammen, so ergibt sich bei der Summe der Kompensationen von > 60 ha und einer Vielzahl von Maßnahmen eine Defizitquote von über 80 %. Entweder existieren die Maßnahmen nicht, oder sie erfüllen die geforderten Kriterien nicht, ganz im Sinne der o.g. Veröffentlichung. Das Interesse der zuständigen Behörden auf Kreis- wie Gemeindeebene an einer konsequenten Umsetzung des Planungs- und Naturschutzrechtes war und ist trotz anderweitiger Bekundungen sehr verhalten. Auch der vermeintlich perfekte, leider mit gravierenden Mängeln behaftete sog. Digitale Umweltatlas ändert daran nichts.

Einsamer Höhepunkt der Recherchen war die Überprüfung der Ausgleichs-Vorgaben eines Baugebietes, sogar in Ortsmitte, die sich über 4 Jahre mit einem wahren Marathon von über 20 Anfragen, Gesprächen, auch vor Ort, Hinweisen, Anträgen, Erinnerungen erstreckte - mit dem Ergebnis, dass danach etwas gemacht wurde, aber eindeutig sowohl sehr mangelhaft wie planwidrig. In einem anderen Fall, bei den Kompensationen für ein Gewerbe- und Industriegebiet ging es ebenfalls munter-zäh hin und her zwischen Fragesteller, Kommune, Landkreis und zurück, bis dann der B-Plan eingesehen werden konnte, mit dem Resultat der Fehlanzeige bei den Kompensationen (letztes Beispiel in Tabelle).

Zur Veranschaulichung der 80 %-Defizit-Quote kann die folgende exemplarische Übersicht von 5 ausgewählten Beispielen, davon eines mit korrekter Umsetzung, dienen.

Eingriff Fläche [ha] Kompensation nach Umweltbericht (Ökologischem Fachbeitrag) des B-Plans
Windkraft 4 Hecken, Kopfweiden, Ackerà Grünland; wurde umgesetzt
Stallanlage  

Hecken, Feldgehölze, Pflanzung von Laubhochstämmen,Eingrünung Erdwall, Landschaftsrasen, Summe > 4000 m2, nahezu komplettes Defizit

3 Baugebiete 5 Es fehlen 3.860 m2 Streuobstwiese + 305 m2 Straßenbegleitgün sowie 8.450 m2 Aufforstung.
Baugebiet 5,8 Defizit der Aufforstung von 2,24 ha
Industrie, Gewerbe 18

Vermisst werden ein 25 m breiter Pflanzstreifen mit Saumgürtel, 2,73 ha sowie 520 m2 Verkehrsgrün, Flächetw. gepflasert und fremd genutzt.

 

Schlussfolgerungen

2- Standort mit kontinuierlicher (Vereins-)Pflege und Erhalt der Flora : Geflecktes Knabenkraut
(Bild: C. Wonneberger)

Welches Fazit ergibt sich nun daraus? Die Situation und Folgerungen daraus haben wir bereits in einem Beitrag der NI von 2010 beschrieben. Geändert hat sich nichts. Denn wenn der politische Wille zur praktischen Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben nicht vorhanden ist, wird sich nicht viel bewegen außer digitalen Katastern und weiteren Absichtsbekundungen

Diese sind bisher schon reichlich vorhanden, nochmals erweitert in den Eckpunkten des Niedersächsischen Weges, S. 27 ff. Darin stehen so dramatische, geradezu furchterregende Stichworte und Sätze wie: “Verpflichtendes Kompensationskataster für die Bauleitplanung…..Stellt die Naturschutzbehörde einen Verstoß gegen Kompensationsverpflichtungen fest, setzt sie die zuständigen Behörden in Kenntnis…. Die Kommunalaufsicht wird aufgrund begründeter behördlicher Hinweise tätig……[Das hätte sie, rechtlich fundiert, bereits die letzten Jahre weit über 100 mal tun können, s.u.]….. …….Auf den Dienstbesprechungen mit den UNBn wird das Thema behandelt…….Verpflichtende Online-Veröffentlichung von Kompensationsflächen….“ usw. oder die beruhigende Erkenntnis: “Rechtliche Regelungen zur Herstellungskontrolle gibt es bereits unter Bezug auf § 17 BNatSchG.“ Bei diesem Hinweis wurde aber die Niedersächsische VO über das Kompensationsverzeichnis aus dem Jahre 2013 vergessen, in der schon einmal exakt das Führen der Verzeichnisse vorgeschrieben wurde – offensichtlich erfolglos. Die Neuauflage im Niedersächsischem Weg 2021 beschreibt das so: “Verpflichtendes Kompensationskataster für die zentrale Datenbank nach einheitlichen Vorgaben und Präsentation der Flächen im Internet….“

Bei allem Respekt vor dem „Digitalismus“ gehört nicht viel Phantasie zu der Vorstellung, dass das Problem der äußerst mangelhaften oder fehlenden praktischen Umsetzungen von Kompensationsmaßnahmen incl. ernsthaften Kontrollen nicht in den Schreibstuben gelöst, sondern dort nur verschoben und digital gestreut, deponiert wird. Hinzu kommt noch die bisher weitgehend fehlende Erkenntnis der notwendigen Unterhaltung, also auch der langfristigen Pflege von Kompensationsmaßnahmen bzw.- flächen. Dies ist leider besonders unschön zu sehen z.B. an den lückigen, nicht gepflegten, überalterten Streuobstwiesen, z.T. auch planwidrig genutzt- einige Zeit nach dem Pressetermin.

Es ist schon wirklich erstaunlich, wie über mehrere Dekaden bau- und naturschutzrechtliche, rechtsverbindliche Vorgaben unter wohlwollender Duldung von Politik und Verwaltung zum größten Teil umgangen bzw. nicht realisiert und entsprechende Erinnerungen daran mit Kritik bedacht wurden. – Es gäbe wirklich noch viel zu tun. Aber das Problem ist ja erkannt, denn “jede Fläche wird systematisch einmal kontrolliert“- auch wenn sie nicht existent ist.

Die gesamte Auswertung kann hier heruntergeladen werden.

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