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Hohe Erwartungen geweckt – nichts geliefert
Dr. Matthias Schreiber
Verfolgt man die Wahlkämpfe von Bündnis 90/Grüne über die Jahre, so werden regelmäßig Erwartungen in Richtung einer geänderten Straßenbaupolitik geweckt und Bürgern Versprechungen gemacht, die sich gegen umweltzerstörende Autobahnvorhaben wehren. Beispiel A20 (Küstenautobahn). Nach einem Pressebericht vom 11.01.2012 lehnte die Bundestagsfraktion den Bau der A20 ab. In einem Beschluss des Niedersächsischen Landesvorstandes vom 30. Juli 2014 forderte die Partei, alle Neubauvorhaben auf den Prüfstand zu stellen. In einem Entschließungsantrag vom 11.07.2018 an den niedersächsischen Landtag forderte die Landtagsfraktion die Einstellung des Planungsverfahren für die A20. In einer Pressemitteilung vom 13.07.20218 bezeichnet die Partei den Bau der A20 als verkehrspolitische Geisterfahrt. Der damalige Landesvorsitzende, Hans-Joachim Janßen, bezeichnete die A20 in einer Pressemitteilung vom 31.05.2022 als „das klimaschädlichste Verkehrsprojekt in Deutschland.“ Noch auf einer Demonstration am 20. April 2023 bekräftigte die Landespartei ihre Ablehnung der A20, der A33 und der A39.
Indes: Schon die grüne Regierungsbeteiligung von 2013 – 2017 hat nicht zu einer Reduktion der niedersächsischen Straßenbauprojekte geführt. Stattdessen wurde eine Liste des maximalen Wünsch-dir-was für den Bundesverkehrswegeplan nach Berlin weitergereicht und nicht einmal die besonders umstrittenen Vorhaben wie die A20 gestrichen.
Nicht besser sieht es auf der Bundesebene in der Ampelkoalition aus. Die Koalitionsvereinbarung enthält nicht nur keinen Verzicht wenigstens auf die besonders umstrittenen Verkehrsprojekte, im Gegenteil. Ergebnis des legendären Koalitionsausschusses vom 28.03.2023 war sogar, dass 144 Verkehrsvorhaben beschleunigt vorangetrieben werden sollen.
Man darf also ernüchtert zusammenfassen, dass grüne Ambitionen in Sachen Straßenbau folgenlose Versprechungen geblieben sind, davon sind nicht einmal Spuren zu erkennen. Schlimmer wäre es auch ohne grüne Beteiligungen in den jeweiligen Regierungen nicht gekommen.
Der Mangel an Einsatzwillen reicht aber noch weiter!
Die Ambitionslosigkeit grüner Verkehrspolitik setzt jedoch auch fort, wo Belange grüner Landesministerien betroffen sind. Worum es dabei geht, sei am Beispiel der A20 veranschaulicht. In einem Statement vom 07.07.2022 zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, in dem die Rechtswidrigkeit der Planung festgestellt wurde, führte die damalige Fraktionsvorsitzende im Niedersächsischen Landtag, Julia Willie Hamburg (mittlerweile stellvertretende Ministerpräsidentin von Niedersachsen) aus: „Das Bundesverwaltungsgericht hat heute höchstrichterlich festgestellt, dass bei der Planung der A20 nicht sauber gearbeitet wurde und Schäden für das benachbarte FFH-Gebiet nicht ausgeschlossen sind. Offensichtlich sollte da getrickst werden. … Der Baustopp muss jetzt von der Ampel-Koalition in Berlin genutzt werden, den veralteten Bundesverkehrswegeplan als bisherige Grundlage für viele unsinnige Autobahnprojekte zügig zu überprüfen.“
Hätte sie dabei doch nicht nur die Ampel-Koalition, sondern auch ihren eigenen Umweltminister mit in die Pflicht genommen! Die von der Fraktionsvorsitzenden kritisierte Trickserei beim Umgang mit dem FFH-Gebiet hat eine Wurzel nämlich auch im Niedersächsischen Umweltministerium, unter einem der Vorgänger des jetzigen Amtsinhabers, Christian Meyer. Wie auf dieser Seite bereits beschrieben worden ist (siehe den Beitrag „Irgendwas mit Wald“), ist das an das Vorhaben angrenzende FFH-Gebiet seinerzeit fehlerhaft abgegrenzt worden. Das FFH-Gebiet „Garnholt“ musste Niedersachsen nachliefern, weil die EU-Kommission erhebliche Defizite für den Lebensraumtyp 9160 („Sternmieren-Eichen-Hainbuchenwälder“) festgestellt hatte. Gemeldet wurden von Niedersachsen mit diesem Gebiet ca. 25 ha, tatsächlich enthält das Gebiet jedoch lediglich 12,6 ha, wie die aktuellen Überprüfungen im Zuge der Straßenplanungen ergeben hatten. Dieses Defizit ist aufgrund der Standortverhältnisse nicht in den Grenzen des gemeldeten Gebietes zu beheben und erfordert daher– aus rein naturschutzfachlichen Gründen – eine deutliche Erweiterung des Gebiets, will man mit diesem Gebiet dem gerecht werden, was der EU-Kommission zugesagt worden ist.
Die Korrektur dieser Trickserei des Umweltweltministeriums würde spürbare Konsequenzen für die weitere Planung der A20 haben, wenn es auch nicht das Aus der A20 im Abschnitt Westerstede zur Folge hätte. Denn ohne die derzeitige Trickserei bei der Gebietsabgrenzung wäre eine viel weiterreichende Betroffenheit durch das Straßenbauvorhaben zu berücksichtigen gewesen, was eine neue Bewertung erforderlich gemacht hätte. Selbst wenn dabei am Ende das Straßenbauvorhaben in der Abwägung die Oberhand behalten hätte, wäre es doch zu deutlich weitreichenderen und qualitativ anderen Kompensationsmaßnahmen für den Eingriff gekommen und der Schaden für die Umwelt und den Schutz der Biodiversität jedenfalls minimiert worden.
Es ist nicht so, dass der Abgrenzungsmangel des FFH-Gebietes dem grünen Umweltminister Christian Meyer verborgen geblieben wäre – im Gegenteil. Namhafte Persönlichkeiten aus der Partei und aus den Reihen der Kritiker der A20 haben ihm dieses Thema bereits im Frühjahr 2023 vorgetragen. Ein Einschreiten im Rahmen seiner Zuständigkeit hat es durch den Minister offenbar nicht gegeben, denn das hätte sich im Ablauf des ergänzenden Planungsverfahrens zur A20 niederschlagen müssen. Es ist daher festzuhalten: Grüne Politik nimmt nicht nur keinen direkten Einfluss auf den Bau der A20, sie trägt nicht einmal Sorge dafür, dass dabei die Belange des Naturschutzes – ureigenste und alleinige Zuständigkeit dieser Partei – in der fachlich und rechtlich gebotenen Weise berücksichtigt werden.
Die Folgen des ministeriellen Versäumnisses gehen sogar noch weiter. Würde die ministerielle Trickserei früherer niedersächsischer Umweltminister gegenüber der EU-Kommission noch im laufenden Verfahren korrigiert und das Defizit behoben, müsste sich die Straßenbauverwaltung mit all den daraus resultierenden Folgen (Stichwort Kohärenzausgleich) auseinandersetzen. Andernfalls bleibt die Korrektur des Meldedefizits irgendwann später allein am Land Niedersachsen hängen.
Da das ergänzende Verfahren zur Genehmigung A20 noch nicht abgeschlossen wurde, ist das Zeitfenster, wenigstens für eine angemessene Berücksichtigung des europäischen Schutzgebietsnetzes Natura 2000 zu sorgen, allerdings noch nicht vollständig geschlossen.
Krasse Fälle auch in anderen Bundesländern
Es ist nicht nur dieser Einzelfall aus Niedersachsen, bei dem man grüner Politik vorhalten muss, nicht einmal die ihnen in ihren Funktionen verbleibenden Möglichkeiten – z.B. in den ihnen unterstehenden Umweltministerien - auszuschöpfen, um auf Straßenbaupolitik einzuwirken oder wenigstens die Folgen für den Schutz der Biodiversität zu minimieren.
Vergleichbares gibt es auch in Rheinland-Pfalz, wo die geplante Fortsetzung der A1 im Norden des Bundeslandes das Fließgewässer eines FFH-Gebietes queren soll, welches im Querungsbereich mit einer Breite von 49 cm (Zentimeter) ausgewiesen wurde, den angrenzenden prioritär zu schützenden Erlen-Eschenauwald (91E0*) aber ausgespart hat. Hinzu kommt, dass der Bachlauf über nennenswerte Abschnitte mittlerweile ganz woanders als in den Schutzgebietskarten verzeichnet verläuft. Die Lächerlichkeit einer solchen Gebietsabgrenzung wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass die für diesen LRT charakteristischen Tierarten wie Fischotter oder Biber nur teilweise vom Habitatschutz profitieren, wenn sie quer im Gewässer liegen, weil die bis 135 cm langen Biber bzw. bis 140 cm langen Fischotter, dann vorne und hinten aus dem Gebiet herausragen. Bis jetzt ist nicht erkennbar, dass man im Umweltministerium in Rheinland-Pfalz Anstalten machen würde, hier eine Korrektur vorzunehmen. Auch hier würde ein solcher Schritt vor allen Dingen dazu führen, dass sich die Straßenbaubehörde und die von ihnen beauftragten Gutachter mit einer neuen und bisher fehlenden Ernsthaftigkeit dem europäischen Schutzgebietsnetz zu widmen hätte.
Nordrhein-Westfalen hat ein FFH-Gebiet zu bieten, in dem der Nahrungsraum für die hochgradig gefährdete Mopsfledermaus geschützt wird, der benachbarte Bereich der Wochenstube aber außerhalb der Schutzgebietsgrenzen liegt und durch den geplanten Bau einer Straße Teile der Quartiere in Anspruch genommen werden sollen. Was aber soll der Schutz eines Nahrungsgebietes, wenn die Bereiche, in denen diese Tiere ihre empfindlichste Zeit, die der Jungenaufzucht, verbringen, durch das Straßenbauvorhaben beschädigt werden dürfen?
Wenn es für grüne Politik schon nicht möglich ist, erkennbaren Einfluss auf den Straßenbau an sich zu nehmen, so sollte man wenigstens den Einsatz der ihren Ministerien zur Verfügung stehenden Instrumente erwarten können, um zu verhindern, dass unrechtmäßig Naturschutzbelange unter die Räder kommen.
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