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Kein Schutz für die stark gefährdete Turteltaube in Niedersachsens Vogelschutzgebieten
Dr. Matthias Schreiber
Für das Jahr 2021 hatten die Niedersächsische Ornithologische Vereinigung und die staatliche Vogelschutzwarte zur Erfassung des Turteltaubenbestandes in Niedersachsen aufgerufen. Die Ergebnisse wurden nun vorgestellt (Vogelkundl. Ber. 49: 215-233) Die Art ist nach der Roten Liste als „stark gefährdet“ eingestuft und wird voraussichtlich in der neuen Liste als „vom Aussterben bedroht“ hochgestuft werden. Im Vergleich zur früheren Verbreitung ist der Bestand mittlerweile stark ausgedünnt: 2021 waren nur noch 4,3 % der Messtischblattquadranten (ein Messtischblatt deckt eine Fläche von etwa 11 x 11 km ab) besetzt, eine bei niedersächsischen Erfassungen übliche Bezugseinheit zur Darstellung der Verbreitung einer Art. Im Zeitraum 1981 – 1985 waren es dagegen 75,3 %. Den Gesamtbestand schätzen die Autoren auf 300 – 400 Brutreviere.
Als Gefährdungsursachen werden Veränderungen in den Brut- und Überwinterungsgebieten sowie massiver Jagddruck auf dem Zug in die afrikanischen Winterquartiere angenommen.
Bemerkenswert ist diese Feststellung der Autoren: „Anzumerken ist, dass ein Großteil des landesweiten Bestandes außerhalb von EU-Vogelschutzgebieten stark verteilt brütet. Dies dürfte den Schutz zusätzlich erschweren. Weiterhin gibt es in ganz Niedersachsen kein EU-Vogelschutzgebiet, das die Art als wertbestimmend ausweist.“ Darauf hatte Nina Schneider bereits vor zwei Jahren hingewiesen.
Dass 31 % der Revierpaare in EU-Vogelschutzgebieten siedeln, wie in der Zusammenfassung des Beitrages festgestellt wird, ändert daran nichts. Man mag zwar allgemein die Vorstellung haben, dass in Vogelschutzgebieten alle dort vorkommenden Vogelarten geschützt werden. Die Praxis sieht jedoch komplett anders aus. Managementpläne beschränken sich oft peinlich genau auf die wenigen Vogelarten, für die ein Gebiet als Vogelschutzgebiet angemeldet wurde. Noch kleinkarierter agiert die Planungspraxis, wenn Vorhaben in oder an Vogelschutzgebieten zu verwirklichen sind, wobei kleinkariert die Sache nicht richtig trifft: Einschlägige Planungsbüros entwickeln teilweise eine hohe Kunstfertigkeit, die zu berücksichtigenden Arten auf ein Minimum zu reduzieren: Bei einem aktuell geplanten Abschnitt der A1 in Rheinland-Pfalz kommt man so z.B. zu dem Ergebnis, dass ein ca. 3,5 km langer Autobahnabschnitt durch ein Vogelschutzgebiet mit einer Flächeninanspruchnahme von ca. 27 ha unerheblich das Gebiet nicht beeinträchtigt ist. Und Genehmigungsbehörden machen dabei immer, zuständige Gerichte leider in der Regel mit.
Von daher muss es nicht wundern, dass unsere Vogelschutzgebiete in einem bedauernswerten Zustand sind und ein massiver Schwund der Arten zu beklagen ist. Darüber wird in der Zukunft noch zu berichten sein.
Für die Turteltaube bedeutet dies: Niedersachsen hat dadurch, dass es sie nicht einmal in ihren Vogelschutzgebieten schützt, seinen Anteil am Aussterben der Turteltaube.
Es ergeht daher die Forderung an den Nabu (das war mal der Deutsche Bund für Vogelschutz), die staatliche Vogelschutzwarte und die Niedersächsische Ornithologische Vereinigung, diesen und viele andere Missstände bei der Umsetzung des Vogelschutzes in Niedersachsen an den Umweltminister heranzutragen und auf eine Behebung der Defizite zu drängen. Vier Jahrzehnte nach Inkrafttreten dieses verbindlichen europäischen Regelwerks muss man das von einem grünen Minister einfordern dürfen.
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