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Für alle, die auf Taten warten
Dr. Matthias Schreiber
Seit vielen Jahren warten all die, bei denen Umweltschutz nicht am nächstbesten Windrad endet, auf messbare Forstschritte beim Naturschutz in Niedersachsen. Die letzten Legislaturperioden mit den Umweltministern Jüttner/Sander/Wenzel/Lies waren diesbezüglich ernüchternd, weil verlorene Jahre. Wenn man einmal annimmt, dass Bündnis 90/Die Grünen Koalitionspartner der SPD in einer neuen Landesregierung sein und darin auch die Zuständigkeit für den Naturschutz übernehmen werden, gibt es ein paar dringliche Handlungsfelder, bei denen viele Naturschützer „auf Taten warten“ und den Minister oder die Ministerin an den eigenen Wahlkampfslogan erinnern werden: „Endlich machen, Grüne!“
Umsetzung des europäischen Schutzgebietsnetzes „Natura 2000“
Gegen die Bundesrepublik Deutschland laufen derzeit zwei Vertragsverletzungsverfahren wegen unzureichender Umsetzung des Schutzgebietskonzeptes Natura 2000. Eines ist bereits beim Europäischen Gerichtshof anhängig. In ihm geht es darum, dass die Schutzgebietsverordnungen grundlegende Anforderungen nicht erfüllen, weil darin keine quantifizierten und damit nachprüfbaren Erhaltungsziele festgelegt sind. Beispielhaft sei hier auf die FFH-Gebiete „Gehn“ und „Aller“ verwiesen. Ein Teil der Schutzgebiete – gerade in Niedersachsen - wurde erst deutlich nach Ablauf aller Fristen überhaupt mit einem Schutzstatus versehen.
In einem zweiten Verfahren, welches ebenfalls vor der Einreichung der Klage beim EuGH steht, wirft die Kommission der Bundesrepublik Deutschland vor, dass es seit Inkrafttreten der Richtlinie zu massiven Verlusten bei den zu schützenden blütenreichen Mähwiesen gekommen ist.
In beiden Fällen liegen die Defizite dermaßen offen zutage, dass man sich fragen muss: Warum warten eigentlich (demnächst) ein Dutzend grüne Landesministerien und das grüne Bundesministerium erst auf Verurteilungen durch den EuGH, bevor sie mit einer rechtlich und fachlich soliden Umsetzung des europäischen Schutzgebietsnetzes "Natura 2000" beginnen? Hier gilt vielmehr: „Endlich machen!“
Wann kommt ein Kompensationskataster?
Seit Jahrzehnten gibt es die Verpflichtung zur Kompensation der Auswirkungen von Eingriffen in die Umwelt. Nach wie vor fehlt es aber an der Verpflichtung, alle Kompensationsmaßnahmen zentral zu erfassen, um sie einer Erfolgskontrolle zu unterziehen oder sie z.B. gezielt für die Vernetzung von Schutzgebieten einsetzen zu können. Für die Umsetzung eines solchen Kompensationskatasters gilt: „Endlich machen!“
Moorschutz ist Klimaschutz
Längst hat sich herumgesprochen, dass die effizienteste Form des Klimaschutzes der Schutz unserer Moore ist. Das fängt nicht erst bei der Vernässung bestehender Naturschutzgebiete an, sondern muss bereits bei der Abtorfung ansetzen, einer völlig anachronistischen Form der Landnutzung und in Deutschland nur noch in Niedersachsen praktiziert. Hier ist das Land gefordert, welches noch immer in seinem Landesraumordnungsprogramm „Vorrangflächen für den Torfabbau“ stehen hat. Mehrere tausend Hektar stammen aus einer Zeit, in der der grüne Spitzenkandidat Verantwortung für die Landesraumordnungsplanung trug. Hier sind es Klima- und Naturschützer, „die auf Taten warten.“
In Niedersachsen darf auf ca. 10.000 ha industriell Torf abgebaut werden, z.T. noch bis in die 2050 und 2060er Jahre, in drei Landkreisen sogar unbefristet. Der darin gebundene Kohlenstoff wird dadurch als klimarelevantes Gas vollständig freigesetzt. Diese Genehmigungen müssen kurzfristig zurückgezogen und die so gebundenen Kohlenstoffmengen als echte Kompensation energieintensiver Produktionen (z.B. Stahlerzeugung) eingesetzt werden. Die landwirtschaftliche Produktion auf Moorböden ist klimagerecht umzustellen. Für beides sind die Mittel des Bundesumweltministeriums „Natürlicher Klimaschutz“ einzufordern: „Endlich machen!“
Energiewende
Betrachtet man die Diskussion um Klimaschutz, so scheint dieser vornehmlich aus einer Energiewende zu bestehen, die wiederum vor allem durch den Zubau von Windkraftanlagen und Photovoltaikanlagen erfolgen soll, damit immer weitere Bereiche auf eine Elektrifizierung umgestellt werden können. Dass dies nicht so einfach ist, macht ein Blick auf die tatsächliche Stromproduktion deutlich, die das Fraunhofer Institut kontinuierlich dokumentiert. Der hier dargestellte Ausschnitt zeigt die Gesamtproduktion und den Bedarf in der 39. Woche dieses Jahres. Markant sind die sehr unterschiedlichen Strommengen, die Sonne und Wind im Laufe dieser Zeit zur Deckung des bundesdeutschen Bedarfs (schwarze Linie in der Abbildung) beitragen. So decken die Windkraftlagen in der Nacht vom 29. auf den 30.09.2022 teilweise nur 3 % des Bedarfs, während es in der darauffolgenden Nacht mehr als 50 % waren. Denkt man sich den Anteil von Braun- und Steinkohle, Atomkraft und Gas als Energiequelle weg, dann klafft in solchen Situationen wie in der Nacht vom 29. auf den 30.09.2022 eine riesige Energielücke, die nur durch eine Vervielfachung der Windkraftanlagen geschlossen werden könnte. An den folgenden Tagen würden diese Produktionskapazitäten dagegen absurde Überproduktionen erzeugen. Wo sind die Konzepte, die Kostenkalkulationen und die Strukturen, die dafür sorgen, dass ein ausbalanciertes System entsteht, um Überschüsse aus Wind- und Solarstrom zu speichern oder umzuwandeln, um damit „Dunkelflauten“ zu überbrücken? „Endlich machen!“ Der bloße und nicht in eine erkennbare Gesamtstrategie eingebettete Zubau an Windrädern und Solarparks führt dagegen nirgendwo hin und ist angesichts der Kollateralschäden an Landschaft und Artenvielfalt unverantwortlich.
Straßenbau
Vor ihrem Eintritt in die vorletzte Landesregierung wollten die Grünen große Änderungen bei der Aufnahme von neuen Straßenprojekten in den Bundesverkehrswegeplan (BVWP) erreichen. Herausgekommen ist das genaue Gegenteil, wie man in der Region Osnabrück besichtigen kann. Während frühere Fassungen des BVWP entweder die Verbreiterung der A30 oder die A33 Nord in den Prioritätenlisten geführt hatten, war es dem „Verhandlungsgeschick“ der Grünen zu verdanken, dass nun beide Vorhaben im vordringlichen Bedarf geführt werden. Auch sonst ist es in Niedersachsen an allen Konfliktpunkten nicht zur Streichung von Straßenbauprojekten gekommen (siehe z.B. A20). Es sind noch immer die Natur- und Umweltschützer, „die auf Taten warten“. Konkret für den Osnabrücker Raum steht die Mindesterwartung, dass sich die Planungen bis zur nächsten Fassung des BVWP zuerst einmal allein mit der A30 befassen, um nach deren Fertigstellung in einer fünfjährigen Monitoringphase zu untersuchen, ob die A33 Nord überhaupt noch gebraucht wird. Noch besser wäre es, wenn man seinen Einfluss in Berlin geltend machen würde und dieses (sowie viele weitere) überflüssige und Natur zerstörende Vorhaben ganz streichen würde. Die Versprechen aus dem Wahlkampf 2013, die A33 verhindern zu wollen, sind noch in Erinnerung und bisher unerfüllt. Es gilt deshalb „Endlich machen!“
Tempolimit
Zu den besonderen Peinlichkeiten dieser Tage gehört es, dass es nicht gelungen ist, ein bundesweites Tempolimit 80/100 in den Koalitionsverhandlungen durchzusetzen und darüber nicht einmal jetzt dafür ernsthaft gestritten wird, wo doch angeblich jede Kilowattstunde zählt und Politiker mit Waschlappenvorschlägen (Kretschmann) oder doppelten Wollpullovern und Kerzen (Schäuble) als Beitrag zum Energiesparen um die Ecke kommen. Hier könnte das Land eigenständig aktiv werden und von sich aus Geschwindigkeitsbegrenzungen festlegen, weil damit gleichzeitig z.B. FFH-Gebiete und sonstige stickstoffempfindliche Biotope vor Beeinträchtigungen geschützt werden. Wenn ein Umweltminister dadurch gleichzeitig zur Entschleunigung und zum Energiesparen beiträgt, umso besser. Deshalb: „Endlich machen!“
Windkraftausbau: rechtssicher und mit Anstand und Respekt gegenüber dem Belangen des Biodiversitätsschutzes!
Es stellt einen echten Affront gegenüber all denjenigen dar, denen der Schutz der Biodiversität am Herzen liegt, wie die Bundesregierung und hier ganz allein federführend grüne Minister bzw. Ministerinnen den europäischen Artenschutz eingerissen hat, weil daran angeblich allzu viele Genehmigungen ungerechtfertigterweise scheitern. Belege dafür fehlen.
Weil die gesetzlichen Neuregelungen offensichtlich nicht mit europäischem Naturschutzrecht verträglich sind, mehrere Fehler enthalten, neue rechtlich unbestimmte Begriffe einführen und andere Bereiche erst gar nicht regeln, sind auf Landesebene Leitfäden und Erlasse zur Konkretisierung für die Genehmigungspraxis erforderlich. Sie sollten genutzt werden, um den Schutz der Biodiversität, der global gesehen kein geringeres Gewicht haben darf als der Schutz des Klimas, rechtssicher und mit Anstand und Respekt zu regeln. Dazu könnte ein echter Konsens zwischen Artenschutz und den wirtschaftlichen Interessen von Projektierern gesucht werden, denn letztere haben zumindest ein Interesse an zügigen und rechtssicheren Genehmigungen. Ein solches Verfahren müsste auch anders aussehen als das, was Nabu und LEE hierzu vorgelegt haben. Denn dieser Leitfaden ist weder fachlich noch rechtlich auf Höhe der Zeit und liefert so keine irgendwie geartete Hilfestellung für die Anwendung.
Die grüne Landrätin des Landkreises Osnabrück kann einem grünen Umweltminister eine Blaupause für einen Lösungsweg liefern, der seit mittlerweile sechs Jahren erprobt ist und die Konflikte zwischen Artenschutz und Ausbau der Windkraftnutzung entschärft hat. Auch hier gilt: „Endlich machen!“
Wildnisgebiete
Die Bundesregierung hat 2007 in der „Nationalen Strategie zur Biologischen Vielfalt“ (NBS) auch die Vision entwickelt, dass sich bis 2020 auf 2 % der Landesfläche Deutschlands die Natur nach ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten als Wildnis entwickeln können soll. Die Umsetzung lässt auch 15 Jahre später auf sich warten. Ein grünes Landesministerium zusammen mit einem grünen Bundesumweltministerium ist die beste Voraussetzung, um das Versäumte nachzuholen. Auch hier sind es Naturschützer, „die auf Taten warten.“ Deshalb: „Endlich machen!“
In den vergangenen Jahrzehnten landeten viele Stimmen von Naturschützern in Wahlen bei den Grünen, weil mit der Partei für die, „die auf Taten warten“, auf die Umsetzung von überfälligen Naturschutzzielen gehofft wurde. Diese Erwartungen wurden allerdings reihenweise enttäuscht. Erfolgreiche Naturschutzpolitik und deren Implementierung in andere Politikfelder ist kein Merkmal mehr, das man Bündnis 90/Grüne noch zusprechen kann. Hier ist die Partei schon länger im allgemeinen politischen Mainstream der Gleichgültigkeit und der Sonntagsreden beim Thema Naturschutz angekommen. Deshalb gilt auch hier: „Endlich machen!“, sofern die Partei ein Interesse daran hat, auch solchen Menschen, denen der Schutz der Biodiversität wichtig ist, einen Anreiz zu bieten, die Partei zu wählen und nicht fortlaufend Naturschutz- und Umwelt/Klimaschutz gegeneinander auszuspielen.
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