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Deutschland hat strukturelle und allgemeine Defizite beim Schutz von Grasland-Lebensräumen!

Laura Sophia Apel (M. Sc.), Dr. Matthias Schreiber
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat Deutschland mit seinem Urteil C-47/23 schwere Defizite bei der Umsetzung der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH) bescheinigt. Im Tenor seines Urteils heißt es: „Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen in der durch die Richtlinie 2013/17/EU des Rates vom 13. Mai 2013 geänderten Fassung verstoßen, dass sie es allgemein und strukturell versäumt hat, geeignete Maßnahmen zur Vermeidung einer Verschlechterung der durch das Natura-2000-Netz geschützten Lebensraumtypen 6510 (Magere Flachland-Mähwiesen) und 6520 (Berg-Mähwiesen) des Anhangs I der Richtlinie 92/43 in geänderter Fassung in den dafür ausgewiesenen Gebieten zu treffen.“
Was steckt dahinter?
Bereits am 07. Mai 2018 hatte die EU-Kommission Deutschland um Informationen gebeten, nachdem ein Bericht der Bundesrepublik eine Verschlechterung der beiden FFH-Lebensraumtypen 6510 (Flachland-Mähwiesen) und 6520 (Berg-Mähwiesen) festgestellt hatte. Nach mehreren Zwischenschritten, bei denen die Defizite noch weiter konkretisiert und belegt worden waren, reichte die EU-Kommission am 31.01.2023 Klage beim EuGH ein. Dazu heißt es im Urteil:
„Mit ihrer Klage beantragt die Europäische Kommission, festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 2 und Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. 1992, L 206, S. 7) in der durch die Richtlinie 2013/17/EU des Rates vom 13. Mai 2013 (ABl. 2013, L 158, S. 193) geänderten Fassung (im Folgenden: Habitatrichtlinie) verstoßen hat, indem sie es
– allgemein und strukturell versäumt hat, geeignete Maßnahmen zur Vermeidung einer Verschlechterung der durch das Natura-2000-Netz geschützten Lebensraumtypen 6510 (Magere Flachland-Mähwiesen) und 6520 (Berg-Mähwiesen) des Anhangs I der Habitatrichtlinie in den dafür ausgewiesenen Gebieten zu treffen, und es
– allgemein und strukturell versäumt hat, der Kommission aktualisierte Daten zu den Lebensraumtypen 6510 und 6520 in den dafür ausgewiesenen Gebieten zu übermitteln.“

Wesentliche Gründe aus dem Urteil

Der stark gefährdete Wiesenpieper kann durch landwirtschaftliche Arbeiten oder durch die
die Abtorfung seiner Habitate beeinträchtigt werden (Foto: M. Schreiber)

Der EuGH befand den ersten Klagepunkt gegen die Bundesrepublik Deutschland in vollem Umfang für begründet, gegenteilige Einwände Deutschlands ließ er nicht gelten.
Besonders schwer wiegt der Umstand, dass das Urteil einen allgemeinen und strukturellen Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot anerkannt hat, weil die Kommission Bestandsrückgänge in einer Vielzahl von Fällen und so gut wie überall im Bundesgebiet aufzeigen konnte, und das anhand offizieller Dokumente. „In Anbetracht dessen ist festzustellen, dass die Kommission signifikative Flächenverluste der Lebensraumtypen 6510 und 6520 in einer erheblichen Anzahl von Gebieten in der Bundesrepublik Deutschland nachgewiesen hat.“
Von Bedeutung ist ferner, dass der EuGH der im Einzelfall gern verwendeten Ausrede, in anderen Gebieten sei es aber ja besser geworden, ausdrücklich einen Riegel vorgeschoben hat (Rn. 96): „Da Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie außerdem auf Gebietsebene Anwendung findet und die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, in jedem Gebiet die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume, deren Präsenz signifikant ist, zu vermeiden, können die in einem bestimmten Gebiet festgestellten Verschlechterungen nicht durch Verbesserungen in anderen Gebieten ausgeglichen werden.“
Bemängelt wurde weiterhin, dass die in Deutschland durchgeführten Überwachungsmaßnahmen „nicht hinreichend gebietsspezifisch, regelmäßig und konsequent sind, um sie als geeignet im Sinne von Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie ansehen zu können.“ (Rn. 110)
Für die künftigen Schlüsse aus diesem Urteil wird außerdem von Bedeutung sein, wie der EuGH die Bestimmungen zur Bewirtschaftung in den FFH-Gebieten bewertet, die eine Verschlechterung der Lebensräume zur Folge haben (hier durch Überdüngung und zu frühe Mahd). Dazu heißt es in Randnummer 115: „Darüber hinaus beruft sich dieser Mitgliedstaat zwar auf für die Bewirtschafter dieser Gebiete verbindliche Schutzvereinbarungen, doch hat er nicht nachgewiesen, dass diese Vereinbarungen die Wirkung einer rechtlich verbindlichen Bestimmung haben, die Überdüngung und eine zu frühe Mahd in den Gebieten untersagt.“ Weiterhin wird in Rn. 116 festgestellt: „Somit hat die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie verstoßen, dass sie keine rechtlich verbindlichen Schutzmaßnahmen gegen Überdüngung und zu frühe Mahd in Gebieten, in denen die Lebensraumtypen 6510 und 6520 vorkommen, getroffen hat.“ So können z.B. vertragliche Vereinbarungen und unverbindliche Managementplanungen den Anforderungen der Habitatrichtlinie nicht genügen, wie aus den Rn. 111-116 abzuleiten ist.
Den Klagepunkt 2 (s.o.) wies der EuGH dagegen ab.

Verantwortlichkeit und was jetzt zu tun ist

Auf den Naturschutz in Deutschland kommen nach dieser Feststellung „allgemeiner und struktureller Defizite“ unmittelbar erhebliche Aufgaben zu und das nicht nur für die beiden vom EuGH beurteilten Grasland-Lebensräume. Signifikante Flächenverluste ergeben sich z.B. auch für Waldlebensraumtypen, deren Zustand ebenfalls stark von der Bewirtschaftung abhängig ist. Auch dort lasse sich Verschlechterungen durch fehlhafte Bewirtschaftung bzw. mangelhafter rechtlich verbindlicher Verbote belegen (siehe „Schutzziel Forstwirtschaft?“). Eine erste Abfrage für den Lebensraumtyp 9190 (Alte bodensaure Eichenwälder auf Sandböden mit Stieleiche) in der atlantischen Region erbrachte für ca. 40 % aller Gebiete vergleichbare Rückgänge bei der Fläche bzw. der Qualität (dazu auf dieser Seite demnächst mehr).
Es wird die Rolle der Naturschutzverbände sein, die Behebung der Defizite in den von der EU-Kommission konkret benannten Gebieten bei den zuständigen Behörden vor Ort mit Nachdruck einzufordern.
Die vom EuGH festgestellte, fehlende Verpflichtung zur Aktualisierung der Datenbestände könnte für die Naturschutzverbände ein Ansporn sein, eine entsprechend aktuelle Statistik selber zu pflegen, um bei Bestandsrückgängen Alarm zu schlagen. Nach dieser Entscheidung des EuGH müssen sie dazu nicht mehr den Umweg über eine EU-Beschwerde gehen.
Zuständig für die Umsetzung der Schutzgebiete sind in Deutschland die Länder. Die vorstehende Grafik zeigt die politische Besetzung der Ministerien in den einzelnen Ländern (von oben nach unten in alphabetischer Reihenfolge; unten abgesetzt: Bund) für den Zeitraum 2010 – 2022. Die Verantwortung für den Verlust an Biodiversität bei den Grasland-Lebensräumen in Schutzgebieten trägt jede demokratische Farbe – auch Grün!

Ein weiterer aktueller Beitrag von RAin Dr. Franziska Heß findet sich hier.

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