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Grünen-Bashing
Dr. Matthias Schreiber
In einem klugen Beitrag vom 28.08.2024 hat sich Bernd Ulrich auf Zeit Online mit der Frage beschäftigt, wieso die Grünen derart in die Defensive geraten sind und für alles verantwortlich gemacht werden, was schief geht. Sie sind nach seiner Beobachtung mittlerweile einer wachsenden Aggression ausgesetzt, die so weit geht, dass ein Ministerpräsident Söder schon heute eine Koalition mit den Grünen für die nächste Bundeswahl ausschließt. (Über die Klugheit einer solchen Festlegung gibt es allerdings auch in der CDU sehr verschiedene Ansichten.) Als Ursache für diese Abneigung schließt der Autor die Grünen selbst allerdings gleich wieder aus: Sie verhielten sich zunehmend defensiver, übten sich in Selbstkritik und machten sich immer kleiner.
Seine Analyse weiter: „Der Hauptvorwurf gegen die Grünen lautet: Sie moralisieren.“ Hier sieht er jedoch eine Fehldeutung. Grüne moralisierten gar nicht, denn: „Moral kommt nur dann zur Anwendung, wenn Dritte ernstlich betroffen sind, das Moralisieren hingegen bewertet auch das Tun anderer, wenn das nicht
der Fall ist, verurteilt beispielsweise sexuelle Orientierung oder religiöse Überzeugung oder auch deren Fehlen.“
Was den Grünen jetzt vorgehalten wird ist, kurz gesagt, dass sie mit ihren Warnungen Recht behalten haben und vielen bewusst wird, dass unsere Lebensweise weitreichende und nachhaltige Rückwirkungen auf uns hat. Unter der Überschrift „Aufstand gegen die Welt der Nebenfolgen“ schreibt Ulrich weiter: „Was bis vor Kurzem noch kein Gegenstand von Moral zu sein brauchte, weil die Folgen für Dritte unerheblich waren, und was darum als reine Betätigung individueller Freiheit erlebt und beansprucht wurde, das verwandelt sich nun in einen moralischen Tatbestand, weil die Folgen für Dritte bereits jetzt gravierend sind und alsbald katastrophal werden konnten. … Der Übergang von einer Epoche privilegierter Folgenlosigkeit zu einer Welt voller Nebenfolgen ist fundamental und verläuft in der westlichen Welt politisch wie kulturell weitgehend unbetreut, er ist überall anwesend, ohne kaum je beim Namen genannt zu werden.“
So etwas zu leugnen, ist ein probates Mittel der politischen Auseinandersetzung. Die Folgen werden bagatellisiert und die Vorstellung verbreitet, es werde alles schon nicht so schlimm kommen. Das verschafft Erleichterung, denn man muss sich den unangenehmen Konsequenzen für das eigene Handeln nicht stellen. Deshalb muss man die vermeintlichen Schwarzseher auch nicht wählen. So erklärt sich sicherlich ein Teil des grünen Absturzes in der Wählergunst.
Wo die Grünen für den Sinkflug selbst verantwortlich sind
Diese Analyse von Ulrich dürfte aber nur einen Teil der Situation erklären. Grüne Politik in Bund und Ländern ist nämlich auch dafür verantwortlich, dass sich eine bisher über Jahrzehnte verlässliche Wählerschaft irritiert bis verbittert und in Teilen dauerhaft abwendet und politisch heimatlos geworden ist, wie sie es schon vor Erscheinen der Grünen Partei auf der politischen Bühne war: Natur- und Umweltschützer, denen ökologische Belange – im ureigensten Sinne – wichtig sind. Sie müssen feststellen, dass sich grüne ökologische Aktivitäten in Regierungsverantwortung weitgehend auf die Ablehnung von Atomkraft und den „Klimaschutz“ und der wiederum auf die Förderung erneuerbarer Energien fokussieren. Damit wird deutlich, dass Ökologie in ihrer Komplexität in den politischen Entscheidungen keinen Platz hat, womöglich nicht einmal verstanden ist. Bemühungen zum Schutz der Biodiversität führen allenfalls ein Schattendasein. Beispiele dazu sind auf dieser Seite vielfach thematisiert worden.
Naturschützer haben dabei nicht die Erwartung, dass der Artenrückgang in einer Legislaturperiode umgekehrt oder die auf internationalen Konferenzen fernab der Heimat versprochenen 30 % Schutzgebiete unmittelbar nach dem Rückflug umgesetzt werden. Das wäre selbst bei absoluten Mehrheiten der Partei illusorisch.
Was aber erwartet werden darf, ist das erkennbare Bemühen, im Rahmen gegebener Möglichkeiten und Kräfteverhältnisse handwerklich gute Arbeit abzuliefern, um den Schutz der Biodiversität voranzubringen.
Davon kann jedoch weder auf Landes- noch auf Bundesebene die Rede sein. Eklatante Beispiele sind:
- Das berüchtigte Habeck`sche Osterpaket, welches durch fachlich und rechtlich völlig unausgegorene Regelungen den europäischen Artenschutz kastriert, für die Planungs- und Genehmigungspraxis von Windkraftprojekten sogar große Unsicherheiten verursacht hat und für den Artenschutz anwachsende Dauerschäden hinterlassen wird.
- Dagegen: Eine schleppende und unausgegorene Umsetzung des Aktionsprogramms natürlicher Klimaschutz (ANK) oder des Artenhilfsprogramms (§ 45d Abs. 1 BNatSchG)
- In Niedersachsen der Umgang mit Abtorfungen oder die fehlende Courage, die Korrektur fehlerhafter Abgrenzungen von FFH-Gebieten vorzunehmen.
- In Rheinland-Pfalz bleibt ein seit vielen Jahren bekannter Missstand bei der gesetzlichen Regelung europäischer Vogelschutzgebiete unkorrigiert und hebelt den Schutz von gefährdeten Vogelarten aus.
- Es fehlt ein adäquater Umgang mit den Umsetzungsdefiziten für das Schutzgebietsnetzes Natura 2000 und jeglicher Versuch, den drohenden Verurteilungen durch den Europäischen Gerichtshof zuvorzukommen (artenreiches Grünland; Vogelschutzgebiete).
Während Russlands Angriffskrieg und die damit einher gehende militärische Bedrohung, der damit verbundene Energieengpass oder auch die Migration die Aufgabe bisheriger Grundsätze erzwangen oder zumindest Erklärungen boten, sind es bei den fehlenden Bemühungen zum Schutz der Biodiversität Gleichgültigkeit und Unvermögen der Akteure. Naturschützer wenden sich daher zunehmend ab und fallen bei Wahlen als „sichere Bank“ ebenso aus wie diejenigen, denen versprochen wurde, es werde alles schon nicht so schlimm werden (siehe oben). Letztere müssen wohl erst schmerzhafte Lernkurven durchlaufen: Die nächsten Dürren, Hochwasserereignisse und Stürme hat eine Regierung Merz zu managen und wird die Verantwortung nicht auf das kurze Ampel-Intermezzo schieben können. „Ökologen“ wären schon dankbar, wenn sie handwerklich gute Arbeit und ein ernstes Bemühen um die Wahrung von Natur und Artenvielfalt geboten bekämen. Daran fehlt es grüner Politik, sodass etliche die nochmalige Vergabe ihrer Stimme von Einlösung des bisher schon erbrachten Vertrauensvorschusses abhängig machen dürften.
Grüne Milchmädchenrechnungen wie „Erneuerbare = Klimaschutz = Artenschutz“ verfangen jedenfalls nicht mehr.
Da der Ampelregierung mittlerweile der Strom abgedreht worden ist, bleiben auf Bundesebene irreparable Schäden. Sie wenigstens zu begrenzen, liegt jetzt an den Ländern mit grüner Regierungsbeteiligung.
Ob von der Neuausrichtung der Partei die nötigen Impulse zu erwarten sind, bleibt abzuwarten. Eine wichtige Position dort strebt der ehemalige Staatssekretär Sven Giegold an. Seine Ankündigung vom 2.11.2024 allerdings: „Ich möchte vor allem daran arbeiten, dass wir als Grüne bei Ökologie und Menschenrechten klar und glaubwürdig bleiben“, klingt für Naturschützer eher nach Drohung als Verheißung. Giegold war es, der bereits am 3. Tag als Staatssekretär den Rotmilan als Hauptfeind der Energiewende ausmachte.
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