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Die Gemeinde Kappel-Grafenhausen als Schrittmacher für Biodiversität am Oberrhein
Bürgermeister Jochen Paleit
Besonders erfolgreich ist der Naturschutz, wenn aus der Bürgerschaft Defizite formuliert und diese an die Kommune adressiert werden die sie im Netzwerk mit anderen Akteuren behebt. Beispielhaft soll dies an den Naturschutz-Projekten „Revitalisierung Taubergießen“, „Rhinaissance“ und durch den „Wilden WaldWeiden Taubergießen“ beschrieben werden.
Alle drei Naturschutz-Projekte liegen in der Rheinaue im Naturschutzgebiet Taubergießen ca. 30 km südlich von Straßburg. Der in dieser Region bis vor wenigen Jahren vorherrschende ländliche Raum ist derzeit durch Siedlungsausbau, neue Verkehrswege, Hochwasser-Retentionsräume, die Freizeitindustrie und eine grundsätzlich hohe Prosperität stark im Wandel begriffen. So nehmen Flächenverbrauch und damit auch die naturschutzrechtlichen Kompensationsverpflichtungen stetig zu.
Das Naturschutzgebiet Taubergießen ist Teil des FFH-Gebiets „Taubergießen, Elz und Ettenbach“ und mit knapp 1700 ha eines der größten Naturschutzgebiete in Baden-Württemberg. Zwei Drittel der Fläche nehmen Wälder ein, ein Drittel besteht aus Gewässern und oft orchideenreichen Wiesen, die mit Ackerflächen und Feldgehölzen durchsetzt sind.
Bis vor 150 Jahren erstreckte sich hier eine dealpine Furkationsaue, die sich ständig veränderte. Sie war geprägt durch die Kraft des Wassers mit sich immer wieder verlagernden Gewässerläufen, zahllosen Inseln, Sand- und Kiesbänke. Gebüsch, Wald und Weiden gab es nur auf kleinen Flächen. Die häufigen Endungen der Gewannbezeichnungen „-grund“ (nasse Senke) oder „-kopf“ (Insel) erinnern heute noch an diese Zeit. Die Kraft der Weidetiere prägte ebenso die Landschaft wie die alten Gewannamen Sau- und Rappenkopf oder Gänsweid dies noch heute bezeugen.
Zur Geschichte
Zwischen 1817 und 1876 verlieh der badische Ingenieur Johann Gottfried Tulla – zusammen mit seinen Nachfolgern – dem Rhein ein völlig neues Gesicht. Mittels Durchstichen wurden Flussschlingen (Mäander) abgetrennt, das Flussbett auf 200 bis 250 m eingeengt und vertieft, zum Schutz gegen Überschwemmungen wurden Dämme gebaut. Die Fließstrecke des Rheins zwischen Basel und Bingen verkürzte sich dadurch um 81 km. Im Zuge des modernen Rheinausbaus leitete man schließlich in den 1960er Jahren auch im Bereich des Taubergießen die Hauptwassermenge zur Stromgewinnung über einen Seitenkanal mit Staustufe ab. Überflutungen des Auwalds traten seitdem nicht mehr mit der geländeverändernden Dynamik auf. Die zahlreichen Altarme und Gießen, nährstoffarme Kaltwasseraustritte, verschlammten und verloren ihre Biotopqualität. Auch war durch die zunehmende Verschlammung teilweise das Befahren der Gewässer mit dem traditionellen Trübord für die Mitglieder der Fischerzünfte nicht mehr möglich. Alles in allem wurden die Oberrheinauen ähnlich konsequent wie die Nordwestdeutschen Hochmoore zerstört.
Die Projekte „Revitalisierung Taubergießen“ und „Rhinaissance“ - die Umsetzung
Die Gemeinde Kappel-Grafenhausen nahm gemeinsam mit der französischen Gemeinde Rhinau die Sorgen der Fischer um die zunehmende Verschlammung der Gewässer und der damit einhergehenden fortschreitende Biotopverschlechterung auf und trug dies zu den zuständigen Stellen des Landes Baden-Württemberg, des Bundes und Frankreichs. Mit deren Anregungen galt es Hochwasserschutz, Naturschutz, Forst und die berechtigten Anliegen der Anwohner in einem Planfeststellungsverfahren glücklich zu verknüpfen. Getragen durch das Land Baden-Württemberg wurde so in einem INTERREG-Projekt eine umfassende Planung zur kraftvollen Durchströmung erstellt und vollzogen:
So wurde dem Rhein die Kraft zurückgegeben die Aue zu „putzen“, von Schlamm zu befreien und den anstehenden Kies zu erodieren, um so wieder die kalten und nährstoffarmen Grundwasseraustritte (taube Gießen) freizulegen und an anderer Stelle auch inmitten des Waldes neue Kiesinseln aufzuschütten.
Das Ergebnis
Die häufigere Durchströmung führt wieder zu einer charakteristischen Ausprägung der Rheinaue mit seinem standörtlichen Mosaik und seinen einzigartigen nun auch klimastabilen Weich- und Hartholzauen auf weit über 1.000 ha und dies sowohl auf deutschen wie auch französischen Eigentum. Ein Gewinn seit für die Kommunen, die erholungssuchenden Bürger, den Tourismus, den Hochwasserschutz und den Naturschutz.
Die Gewinner
Zielte das oben beschrieben Projekt „Revtaliserung Taubergießen“ auf die Wiederherstellung der Aue ab so begründet das ebenfalls durch die Gemeinde Kappel-Grafenhausen angestoßene INTERREG-Projekt „Rhinaissance“ die teilweise Wiederherstellung der Furkation direkt im Hauptgerinne des Rheins. So sollen zukünftig am deutschen und französischen Ufer des Rheins der Verbau beseitigt, also vor allem Steinschüttungen entfernt werden, damit der Rhein auch dort wieder Geschiebe aufnehmen kann und zu einem Fluss der 1000 Inseln wird. Die hierzu notwendigen zweistaatlichen Genehmigungsverfahren sollen bald beginnen.
Waldumbau
Mit der Etablierung des Badischen Forstgesetzes im Jahre 1833 und dem dort festgeschriebenen Verbot der Waldweide sowie der grundsätzlichen Einführung der Stallhaltung verlor sich in Baden wie auch andernorts die gestaltende Kraft der Weidetiere. Seit der 1980iger Jahre wurden wiederkehrende naturschutzfachliche Mulch- oder Mähmaßnahmen im Naturschutzgebiet durchgeführt. Trotzdem stagnierten die typischen Tier- und Pflanzenarten, die ursprünglich in der Stromtalaue beheimatet sind. Für das anfallende Mahdgut der Pflegemaßnahmen gab es keine Verwendung und so wurde dies teilweise in den Wäldern entsorgt. Dies führte berechtigterweise zu Beschwerden aus der Bürgerschaft. Auch wurde von der Bürgerschaft die Ausweitung des Mais-Anbaus im Naturschutzgebiet und von den örtlichen Landwirten ein zunehmender Flächenentzug durch die Anlage von naturschutzrechtlichen Kompensationsmaßnahmen auf produktiven Ackerstandorten beklagt. Diese berechtigten Anliegen wurden durch die Gemeinde angenommen und auf Grundlage einer eigens erlassenen Schonwaldverordnung mit den Partnern folgendermaßen gelöst:
Die teilweise nicht hochwassertoleranten und durch das Eschentriebsterben gezeichneten Wälder werden zu einem Eichen-Ulmen-Auenwald umgebaut. Durch die Fraßtätigkeit der Rinder und Pferde wird dieser in einen lichten Hutewald überführt. Diese Biotopaufwertung wird mit Ökopunkten honoriert, so dass kommunal keine weiteren Kompensationsmaßnahmen auf Acker-Standorten mehr notwendig sind. Durch die Ermöglichung der Beweidung auf ackerbaulichen Grenzertragsstandorten, auf denen teilweise Mais angebaut wurde, wurde eine gute standortgerechte alternative landwirtschaftliche Bewirtschaftung etabliert, die identitätsstiftend ist und auch eine neue Wertschöpfungskette vom Landwirt zum Metzger und zum örtlichen Gasthof begründet.
Vorbildfunktion
So wurden durch die Gemeinde Kappel-Grafenhausen die ureigenen auendynamischen Prozesse durch die Kraft des Wassers und der Weidetiere in einer typischen mittelbadischen Landschaft erfolgreich wiederhergestellt.
Die naturschutzfachlichen Erfolge sind eindeutig. Das typische Arteninventar der Oberrhein-Auen wird so nachhaltig gesichert und stark bedrohte Arten nehmen wieder zu.
Erfreulich, dass derzeit auch an Rheinzuflüssen in Baden große Renaturierungen stattfinden und sich weitere Wilde Weiden-Projekte im Südwesten der Republik etablieren.
Ein Kurzfilm zu den Wilden WaldWeiden finden Sie unter www.kappel-grafenhausen.de
(Text und Bilder: Jochen Paleit)
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