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Schutzziel Forstwirtschaft?

Offenbar kahlschlagartige Freistellung im FFH-Gebiet "Teutoburger Wald, Kleiner Berg" (DE3813331)
(für die Animation auf das Bild klicken)

Laura Apel (M. Sc.)

Es ist ein bundesweites Problem. Schaut man sich Luftbilder unserer Wälder an, werden Löcher in den Kronendächern deutlich. Sicherlich tragen Stürme und Trockenschäden der letzten Jahre ihren Teil dazu bei. Allerdings sind auch zahlreiche Fälle bekannt, in denen in kurzer Zeit zu viele Bäume gefällt werden – und das in unseren europäischen Schutzgebieten.

Etwa 8 % der deutschen Waldfläche genießen den Schutz Natura 2000 nach der FFH-Richtlinie (FFH steht für Fauna-Flora-Habitat) und der EU-Vogelschutzrichtlinie. Sie bilden das europaweite Netz aus Schutzgebieten zum Erhalt der europäischen Biodiversität. Allerdings scheint das nicht überall als primäres Schutzziel verstanden zu werden. Vielmehr macht die Prioritätensetzung „Wirtschaft“ auch vor dem europäischen Schutzgebietssystem Natura 2000 bislang nicht halt (Beispiele siehe FFH-Gebiet „Hoher Keller“ (Hessen), FFH-Gebiet „Mastberg“ (Niedersachsen), FFH-Gebiet „Beienroder Holz“ (Niedersachsen), FFH-Gebiet „Biosphärenreservat Pfälzer Wald“ (Rheinland-Pfalz), FFH-Gebiet „Hochspessart“ (Bayern)). In allen Beispielen sind die Verschlechterungen in den Natura 2000-Gebieten offensichtlich und die Liste ist keinesfalls vollständig. Es verwundert daher auch nicht, dass sich der überwiegende Teil Wald-Lebensraumtypen (LRT) in einem „unzureichenden“ bzw. „schlechten“ Erhaltungszustand befinden (siehe hierzu FFH-Berichte des BfN von 2019 atlantisch und kontinental).

Auch für die Vogelschutzgebiete lassen sich Verschlechterungen durch forstwirtschaftliche Praktiken ableiten, so heißt es z.B. im Managementplan (MAP) zum SPA „Nordöstlicher Unterharz“ in Sachsen-Anhalt zum Grauspecht: „Die durch das Großschirmschlagsverfahren bedingte strukturelle Verarmung sowie die relativ kurzen Umtriebszeiten in der Rotbuche wirken sich allerdings negativ aus. Die Beibehaltung dieser Bewirtschaftungsform führt in den betroffenen Bereichen zu einer Verschlechterung des EHZ [Erhaltungszustandes].“ und im MAP zum bayrischen SPA „Salzach und Inn“ zum Grauspecht: „Durch die überwiegend intensive forst- und landwirtschaftliche Nutzung ist eine deutliche Beeinträchtigung der Lebensraumqualität sowohl als Brut-, als auch als Nahrungshabitat erkennbar.“ sowie in den Berichten zum Vogelmonitoring in Sachsen für das Vogelschutzgebiet „Vogtländische Pöhle und Täler“: „Der Brutbestand des Schwarzstorches hat sich im Gebiet hingegen verringert, was nach Einschätzung des Bearbeiters vor allem auf Forstarbeiten während der Brutzeit zurückzuführen sein könnte.“ Auch im Vogelschutzgebiet Stechlin in Brandenburg werden starke Durchforstungen alter Laubbaumbestände als Hauptursache für einen starken Rückgang von jeweils zwei Drittel der Bestände von Mittelspecht und Zwergschnäpper gesehen (Ryslavy & Putze 2020, S. 135, 141). Ähnliche Betroffenheiten lassen sich auch für die waldgebundenen Fledermäuse ableiten. Beispielhaft sei auf zwei Fallbeispiele im FFH-Gebiet „Donnersberg“ und FFH-Gebiet „Duppacher Rücken“ in einen aktuellen Beitrag der Naturschutzinitiative e.V. verwiesen (siehe Pfalzer 2022). In beiden FFH-Gebieten in Rheinland-Pfalz kam es nach forstlichen Eingriffen, die zur Auflichtung des geschlossenen Kronendachs der Altbestände führten, zu nachweislichen Populationsrückgängen der Erhaltungszielart Bechsteinfledermaus. Bestandsrückgänge der Bechsteinfledermaus findet man auch in zahlreichen FFH-Gebieten in Baden-Württemberg (z.B. DE7021341, DE6520341, DE7426341, DE7021342, DE7418341), wenn man die an die EU-Kommission gemeldeten Standarddatenbögen (SDB) der Jahre 2012 und 2021 vergleicht (oben links im jeweiligen SDB können auch ältere Meldungen abgerufen werden). Allein in diesen fünf Gebieten sind die Bestände laut SDB von insgesamt 229 Individuen auf 0 geschrumpft. Es überrascht somit auch nicht, dass Dietz et al. (2020) in einem Beitrag zum „Waldfledermausschutz in Deutschland“ zu dem Ergebnis kommen, dass die Ausweisung der FFH-Gebiete für Waldfledermäuse bislang weitgehend wirkungslos ist.

Unspezifischer Schutz in Deutschland

Luftbildausschnitt eines Teilbereichs des FFH-Gebiets „Teutoburger Wald, Kleiner Berg“ (DE3813331)
im Landkreis Osnabrück (Quelle Google Earth Pro). Die weißen Linien umfassen
mind. 74 ha Kahlflächen innerhalb des FFH-Gebiets, die im Jahr 2018 noch bewaldet waren
(für die Animation auf das Bild klicken).

Wie kann es sein, dass es zu solchen Missständen und offensichtlicher Verschlechterungen in den europäischen Schutzgebieten kommt?

Die Luftbilder zeigen beispielhaft die Entwicklung des Teilbereichs „Kleiner Berg“ des FFH-Gebiets „Teutoburger Wald, Kleiner Berg“ (DE3813331), für welches das Umweltforum Osnabrücker Land e.V. bereits 2018 einen deutlich strengeren Schutz gefordert und einen Verordnungsentwurf vorgestellt hat (siehe hier). Allerdings genießt die Forstwirtschaft in diesem FFH-Gebiet dank der großzügigen Freistellungen in der Ende 2019 erlassenen Schutzgebietsverordnung „Narrenfreiheit“, europäische Vorgaben hin oder her. Eine erste grobe Luftbildauswertung offenbart für den Teilbereich „Kleiner Berg“ Verluste von mind. 77 ha allein zwischen 2018 und 2022.

Nicht nur Defizite im Kleinen Berg

Luftbildausschnitt für den Teilbereich des FFH-Gebiets „Teutoburger Wald, Kleiner Berg“ (DE3813331)
westlich von Bad Iburg im Landkreis Osnabrück (Quelle Google Earth Pro).
Die weißen Linien umfassen mind. 176 ha Kahlflächen innerhalb des FFH-Gebiets,
die im Jahr 2018 noch bewaldet waren (für die Animation auf das Bild klicken).

Hinzu kommen nach einer ersten groben Luftbildauswertung weitere 99 ha in den anderen Teilbereichen des FFH-Gebiets (in der Summe sind es mindestens 176 ha). Zwar finden sich darunter auch Verluste, die offensichtlich durch Absterben von Nadelbäumen verursacht sind. Es sind aber auch über 1 ha große offensichtliche kahlschlagähnliche Eingriffe in Laubwaldbestände dabei, wie beispielhaft in der Detailansicht zu sehen ist.  

Es ist nicht selten der Fall, dass in den Schutzgebietsverordnungen zu den Natura 2000-Gebieten Nutzungsinteressen, wie z.B. Land- und/oder Forstwirtschaft, großzügig von den Verboten freigestellt werden (siehe z.B. hier zum Wiehengebirge). Dass eine solche Vorgehensweise unionsrechtlich kritisch zu betrachten ist, wurde bereits in einem Beitrag der Rechtsanwältin Lisa Hörtzsch am Beispiel von Niedersachsen dargelegt. Solche Freistellungen gehen zu Kosten der Naturschutzziele. Denn in den wenigsten Fällen wird systematisch ermittelt, ob durch die Freistellungen die übergeordneten Ziele überhaupt zu erreichen sind.

Hier knüpft ein weiteres Problem an. Denn für die meisten Natura 2000-Gebiete gibt es keine konkreten Erhaltungsziele, wie zuletzt auch die EU-Kommission im Vertragsverletzungsverfahren darlegt hat (siehe dazu hier). Als „Erhaltungsziele“ reichen nicht die bisher formulierten Allgemeinfloskeln aus, die weiterhin Interpretationsspielräume für „verbal-argumentative“ Bewertungsmethoden lassen, sondern messbare Ziele, die anhand des Ausgangzustands den gewünschten Zielzustand quantitativ sowie qualitativ benennen und damit auch die Möglichkeit bieten, die Erheblichkeit von Eingriffen methodisch sauber zu ermitteln. Die derzeitigen Freistellungen in den Schutzgebieten und das derzeitige Management verfolgen hingegen keine messbaren Ziele, sondern handeln „ins Blaue hinein“. Diese Defizite haben auch Folgen für die Ebene der FFH-Verträglichkeitsprüfung, denen sich auch forstliche Arbeiten in Natura 2000-Gebieten zu unterziehen haben (weiterer Beitrag folgt), wenn keine integrierte Planung vorliegt.

Die bisherige Vorgehensweise kann keine Gewissheit liefern, dass es in den Natura 2000-Gebieten zu keinen Verschlechterungen kommt. Im Gegenteil: es lassen sich derzeit in zahlreichen Fällen Verschlechterungen in den bewaldeten Natura 2000-Gebieten feststellen.

Es bleibt spannend zu beobachten, welche Auswirkungen die beiden EU-Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen mangelhafter Umsetzung der FFH-Richtlinie auf die bisherige deutsche Praxis haben werden. Damit die 30 % Fläche, die weltweit zum Schutz der Biodiversität bereitgestellt werden sollen, auch Wirkung erzielen, muss sich nicht nur im brasilianischen Regenwald, sondern auch in unseren Buchenwäldern noch einiges verändern. Ein gutes Vorbild für andere Länder ist Deutschland bisher jedenfalls nicht.

Literatur:

Dietz M, Morkel C, Wild O, Petermann R (2020): Waldfledermausschutz in Deutschland: sichern FFH-Gebiete und Alt- und Totholzkonzepte den Erhaltungszustand geschützter Fledermausarten? Natur und Landschaft 95 (4): 162-171

Pfalzer G (2022): Rechtswidrige Forstwirtschaft in Deutschland? Flucht vor der Konkretisierung. Naturschutzinitiative e.V. (NI), Quirnbach.

Ryslavy T, Putze M (2020): Erfassung und Bewertung der Brutvogelarten in den EU-Vogelschutzgebieten Brandenburgs – Ergebnisse der SPA-Erst- und Zweiterfassung – Teil 1. Naturschutz und Landschaftspflege in Brandenburg Beiträge zu Ökologie und Naturschutz. Heft 4 2020, Landesamt für Umwelt, Potsdam.

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