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Vollzugsdefizite bei FFH-Verträglichkeitsprüfungen von forstwirtschaftlichen Maßnahmen in Natura 2000-Gebieten
Forstliche Arbeiten in Natura 2000-Gebieten haben sich einer FFH-Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen, wenn Auswirkungen für das Gebiet bzw. dessen Schutzgüter nicht offensichtlich ausgeschlossen werden können (siehe „FFH-Verträglichkeitsprüfpflicht für die Forstwirtschaft“). Dennoch lässt sich für zahlreiche Gebiete in Deutschland feststellen, dass forstwirtschaftliche Eingriffe offensichtlich zu Verschlechterungen der Zustände geführt haben (siehe „Schutzziel Forstwirtschaft?“). Vergleicht man die Bestandsangaben der Waldlebensraumtypen (91**) in den SDB von 2012 mit 2021, hat sich die Fläche in Deutschland innerhalb der FFH-Gebiete um insgesamt 78.565 ha reduziert (eigene Auswertung durch Vergleich der Datenbanken). Welcher Anteil davon auf forstwirtschaftliche Arbeiten zurückzuführen ist, kann nicht nachvollzogen werden. Offensichtlich besteht jedoch erheblicher Handlungsbedarf in den Natura 2000-Wäldern.
In einem gemeinsamen Empfehlungspapier „Konsequenzen des Beschlusses des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts zur Verträglichkeit forstwirtschaftlicher Maßnahmen in Natura 2000-Gebieten“ der sog. LANA (Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Naturschutz, Landschaftspflege und Erholung) und der Forstchefkonferenz (FCK) wird eingeräumt, dass forstliche Projekte bislang kaum hinsichtlich ihrer Verträglichkeit geprüft wurden und vieles dafürspricht, dass bundeweit erhebliche Vollzugsdefizite bestehen. Gemeinsam wurden daher Empfehlungen für den Umgang mit forstwirtschaftlichen Arbeiten in Natura 2000-Gebieten für die Forst- und Naturschutzverwaltungen erarbeitet, welche sich zwar nicht bei den Zuständigen direkt, dafür aber bei den rheinland-pfälzischen Landesforsten (hier) herunterladen lässt.
Zum Inhalt des Empfehlungspapiers
Das Empfehlungspapier fasst zunächst die westlichen Punkte der Entscheidung des Sächsischen OVG im Fall der Eingriffe in den Leipziger Auwald zusammen (OVG Bautzen, Beschluss 4 B 126/19 vom 09.06.2020). Als gesichert sei festzustellen, dass forstwirtschaftliche Maßnahmen allgemeingültig als Projekt im Sinne des § 34 Abs. 1 BNatSchG einzuordnen seien und keine Privilegierungen für die Forstwirtschaft gelten, sodass eine Prüfpflicht bestehe. Es sei von einem wirkungsbezogenen Projektbegriff auszugehen, sodass es entscheidend sei, ob die Maßnahmen geeignet seien, das Gebiet in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen erheblich zu beeinträchtigen. Dies sei „zuvörderst eine naturschutzfachliche Frage“.
Die Freistellungen von der Prüfplicht sind laut Papier streng, sodass auch pauschale Freistellungsklauseln in einer Schutzgebietsausweisung regelmäßig nicht ausreichen dürften. Freigestellt seien hingegen nur Maßnahmen, die unmittelbar der Gebietsverwaltung dienen, also Maßnahmen aus dem Managementplan, die für die Verwirklichung der Erhaltungsziele unmittelbar erforderlich sind. Ebenso freigestellt sei die Integrierte Bewirtschaftungsplanung im Sinne des EU-Leitfadens. Eine solche Planung setze allerdings voraus, dass alle nötigen Ziele vollständig beachtet und in ausreichender Qualifizierung enthalten seien. Außerdem müssten die Daten zu dem Natura 2000-Gebieten verlässlich und aktuell sein.
Bereits daran mangelt es aber den FFH-Managementplänen meistens. Eine solche Grundlage ist bisher für viele Erhaltungszielarten der FFH-Gebiete und vor allem der Vogelschutzgebiete vielfach Mangelware. Es dürfte dementsprechend noch einige Zeit dauern, bis solche integrierten Pläne den Anforderungen des Papiers genügen würden. Schlussendlich bleibt daher meist nur der ab S. 9 des Papiers beschriebene Schritt 3 „Prüfung forstlicher Maßnahmen im Einzelfall“.
Neuer Versuch, der Forstwirtschaft Sonderstellungen einzuräumen
Umso mehr verwundern dann allerdings die abgestimmten Empfehlungen unter Punkt 3a „Erheblichkeitsabschätzung (Vorprüfung) durch den/die Waldbesitzer/in“, die den Bewirtschaftern erneut eine Sonderstellung einräumen, indem sie ihre FFH-Verträglichkeitsvorprüfung selbst durchführen sollen. Während bei allen anderen genehmigungsbedürftigen Projekten eine Vorprüfung von der zuständigen Behörde vorzunehmen ist, darf laut LANA und FCS bei forstlichen Arbeiten der Verursacher selbst diese Prüfung durchführen, obwohl es eingangs des Papiers noch heißt, dass es sich um eine naturschutzfachliche Frage handelt, ob Erheblichkeiten möglich sind. Kommt der Bewirtschafter zu dem Ergebnis, dass die geplante Maßnahme geeignet ist, erhebliche Beeinträchtigungen auszulösen, hat er diese der zuständigen Naturschutzbehörde anzuzeigen. Wie allerdings in jedem Fall ein rechtskonformer Maßstab zur Anwendung kommen soll, wenn „der Bock zum Gärtner“ gemacht wird, ist nicht ersichtlich.
Der Grund dieser Sonderstellung ist auf S. 7 zu finden, wo es zwar heißt, dass im Rahmen der Waldbewirtschaftung in Natura 2000-Gebeiten zuverlässig und nachprüfbar Vorsorge zu treffen ist, dass forstliche Maßnahmen nicht zu erheblichen Beeinträchtigungen führen, diese Vorsorgemechanismen allerdings nicht zu einem bürokratischen Aufwand führen dürften, „welcher die Nutzung des Waldeigentums faktisch ver- oder behindert oder von den Verwaltungen nicht getragen werden kann.“
Nicht nur das. Die Vertreter der LANA und FCS würden damit gleichzeitig auch zulassen, dass nicht nur die Vorprüfung, sondern auch die Verträglichkeitsprüfung aus der Hand gegeben wird, wenn es nicht um die Frage, ob Auswirkungen offensichtlich und nachweislich ausgeschlossen werden können, sondern darum geht, ob ein Projekt geeignet ist, zu erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen zu führen. Damit würde die gesamte Prüfung der Verantwortung der zuständigen Behörden entzogen und das rechtlich vorgesehene Kontrollsystem ausgehebelt.
Freifahrtscheine für die Forstwirtschaft in Osnabrücker FFH-Gebieten
Nichtsdestotrotz haben LANA und FCS in ihrem Papier deutlich zum Ausdruck gebracht, dass pauschale Freistellungen für die Forstwirtschaft in den Verordnungen nicht die FFH-Prüfpflicht ersetzen. Ähnliches hat zuletzt auch die EuGH in einer Entscheidung gegen Polen erneut deutlich gemacht (siehe hier). Die strengen Anforderungen an die Freistellung der Prüfpflicht für forstliche Maßnahmen in Natura 2000-Gebieten wird für die Osnabrücker Naturschutzbehörden noch herausfordernd werden. Denn hier genießt die Forstwirtschaft dank der großzügigen Freistellungen unter § 5 der in der Stadt und dem Landkreis erlassenen Schutzgebietsverordnungen. Wie aus Verbandskreisen bekannt, mussten sich die Fachbehörden dem unionsrechtswidrigen Walderlass und dem politischen Druck fügen. Weder werden die Freistellungen auf einer vorgelagerten Ebene (siehe hier) noch später vor der Durchführung habitatschutzrechtlich geprüft. Genauso wenig fallen die Freistellungen unter den Punkt „Gebietsverwaltung“. So enthalten z.B. die Schutzgebietsverordnungen zu den FFH-Gebieten „Mausohr Jagdgebiet Belm“, „Fledermauslebensraum Wiehengebirge bei Osnabrück“, „Teutoburger Wald, Kleiner Berg“ und „Bäche im Artland“ weitreichende Freistellungen zu Gunsten der Forstwirtschaft, die ganz offensichtlich nicht der naturschutzfachlichen Gebietsverwaltung dienen, sondern nachträglich in die Managementpläne integriert werden.
Dies beginnt bereits mit den grundsätzlichen Freistellungen für die Erhaltung der Verkehrssicherheit, die z.B. in den Osnabrücker Verordnungen „Bäche im Artland“, „Teutoburger Wald, Kleiner Berg“ oder „FFH-Gebiet Mausohr-Jagdgebiet Belm“ enthalten sind. Solche Maßnahmen dienen ganz offensichtlich nicht der Gebietsverwaltung (siehe bereits OVG Bautzen, Beschluss 4 B 126/19 vom 09.06.2020), sodass fraglich ist, weshalb sie von der Prüflicht pauschal freigestellt werden, obwohl sie logischerweise je nach Schutzgut erhebliche Beeinträchtigungen hervorrufen können und keineswegs die Fällung zwingend die einzige Möglichkeit darstellt, um eine Gefahr abzuwehren.
Ebenso werden forstliche Nutzungen in den FFH-Gebieten unter bestimmten Bedingungen ausdrücklich zugelassen. Die vermeintlichen Beschränkungen führen allerdings im Ergebnis zu erheblichen Verschlechterungen der Erhaltungszustände.
Betrachtet man z.B. die Bedingungen für LRT-Flächen 9110, 9130, 9160 sowie 91E0*, die den Erhaltungszustand „B“ in der Landschaftsschutzgebietsverordnung "FFH-Gebiet Teutoburger Wald, Kleiner Berg", so führt die Anwendung der Freistellungen dazu, dass die betreffenden Flächen ihre Wertigkeit vollständig verlieren. Von besonderem Gewicht ist die Freistellung unter § 5 Abs. 4 Nr. 2a. Denn wenn ein Altholzbestand bis auf 20 % der Ausgangsgröße über wenige Jahre hinweg durch Femel- und Lochhieb eingeschlagen werden darf, kommt dies einer auf Jahrzehnte andauernden Zerstörung gleich, denn dann fehlen auf 80 % dieser Fläche die bestandstypischen und den LRT prägenden Baumarten. Die Erhaltung von 20 % des Ausgangsbestandes wird zu großen Teilen womöglich allein durch die obligatorische Erhaltung von zehn großen lebenden Altholzbäumen eingehalten (Bestimmung unter § 5 Abs. 4 Nr. 2j). Und genau genommen sind von den 80 % Kahlfläche gem. § 5 Abs. 4 Nr. 2n wiederrum nur 60 % lebensraumtypische Baumarten zu entwickeln. Denn 20 % werden bereits durch den Erhalt des Altholzbestandes erreicht. Dementsprechend dürften 20 % lebensraumuntypisch entwickelt werden, womit die Entwicklungsziele des Managementplans offensichtlich verfehlt werden. Fällt dies auf den äußeren Bereich der LRT-Fläche, kann man von einer Reduktion der LRT-Fläche ausgehen. Demgegenüber steht insbesondere für den LRT 9160 bundesweit die Verpflichtung einer bis zu 10-prozentigen Flächenzunahme (Die Einstufungen der günstigen Referenzwerte lassen sich aus den Art. 17-Berichten ableiten, siehe hierzu vollständige Berichtsdaten des nationalen Berichts des BfN). Für den nächste Berichtsperiode dürfte der erforderliche Flächenzuwachs sogar noch steigen, da sich innerhalb der FFH-Gebiete beim Vergleich der SDB aus 2012 und der aktuellen Fassung eine weitere Reduktion der Flächen des LRT 9160 von ca. 4 % abzeichnet. Flächenabnahmen ergeben sich auch für die LRT 9110 und 9130.
Die Konsequenzen der großzügigen Freistellungen sind für das FFH-Gebiet „Teutoburger Wald, Kleiner Berg" hier zu sehen. Solche Freistellungen finden sich z.B. auch in den Verordnungen zu den Landschaftsschutzgebieten „FFH-Gebiet Fledermauslebensraum Wiehengebirge bei Osnabrück“ (für die LRT 9110, 9120, 9130, 9160 und 91F0), „FFH-Gebiet Mausohr-Jagdgebiet Belm“ (für die LRT 9110 und 9130) und „Bäche im Artland“ (für die LRT 9110, 9120, 9190 und 91E0*). Im FFH-Gebiet „Bäche im Artland“ werden die Lockerungen auf die Spitze getrieben, weil nur drei, im „FFH-Gebiet Fledermauslebensraum Wiehengebirge bei Osnabrück“ dagegen immerhin elf auf öffentlichen und vier auf privaten Flächen sowie im „FFH-Gebiet Mausohr-Jagdgebiet Belm“ sechs lebende Altholzbäume dauerhaft erhalten werden müssen. Außerdem wird für das FFH-Gebiet Mausohr-Jagdgebiet Belm wenigstens für die LRT 9110 und 9130 und für das FFH-Gebiet Fledermauslebensraum Wiehengebirge für die LRT 9110, 9120 und 9130 festgelegt, dass die Verjüngungsflächen mind. 90 % lebensraumtypische Baumarten enthalten müssen. Folglich können dort „nur“ 10 % lebenraumuntypische Arten eingebracht werden.
Vernachlässigung der Fledermäuse?
Gravierend sind die zugelassenen Freistellungen auch für die Fledermäuse, die in den Gebieten als Erhaltungsziel geführt werden. Von den oben genannten Schutzgebieten ist die Bechsteinfledermaus in zwei Gebieten Erhaltungsziel. Dennoch gelten auch dort die großzügigen Freistellungen. Um die Erheblichkeit der Eingriffe in Lebensräume dieser Art zu verdeutlichen, wird auf die Schemata für die Bewertung des Erhaltungsgrades von Arten für das bundesweite FFH-Monitoring verwiesen (BfN & BLAK 2017, siehe hier). So liegt die Habitatqualität des Jagdgebiets der Bechsteinfledermaus erst dann bei gut (B), wenn der geschätzte Anteil Altbestand (> 100 Jahre) 30 bis 50 % beträgt. Sinkt der Wert unter 30 %, wird die Habitatqualität mit schlecht (C) bewertet. Betrachtet man aber die Freistellungen (s.o.), muss der Altholzanteil auch in den Fledermaushabitatflächen nur bei 20 % liegen. Die Freistellung von Lochhieben bis 0,5 ha führt zur Auflichtung des Kronendachs und somit ganz offensichtlich zur Verschlechterung der Qualität von Jagdgebieten der Bechsteinfledermaus. Solche Eingriffe kann man für die Bechsteinfledermaus als Flächenentzug werten. Zieht man hierzu die Schwellenwerte heran, wie sie für genehmigungsbedürftige Vorhaben oftmals herangezogen werden, um Erheblichkeiten zu bewerten, liegt man bereits mit einem einzigen Lochhieb im Habitat der Bechsteinfledermaus weit über der tolerierbaren Schwelle von 160 m².
Ein wichtiges Kriterium für die Bewertung des Erhaltungszustandes der Art ist außerdem die Höhlenbaumdichte. Als Voraussetzung für einen „hervorragenden“ („A“) Erhaltungszustand gilt eine Höhlenbaumdichte von ≥ 10 Höhlenbäume/ha. Ein solches Kriterium legen die Verordnungen allerdings überhaupt nicht fest. Denn gesichert werden lediglich Altholzbäume und keine Höhlenbäume. Hinzu kommt, dass im Gebiet Wiehengebirge auf privaten Flächen nur vier Bäume gesichert werden müssen, sodass die Habitatqualität bei C einzuordnen wäre. Die Freistellungen sind daher geeignet, erhebliche Beeinträchtigungen zu verursachen. Ein konsequenter Schutz der Erhaltungszielarten sieht anders aus (siehe hierzu z.B. Dietz et al. 2020). Die Autoren weisen darauf hin, dass überprüfbare Zielvorgaben für die Baumhöhlendichte, Totholzvorräte und die Nutzungsintensität festgesetzt werden müssten. Als Anhaltspunkte nennen sie eine Baumhöhlendichte in Quartierkomplexen der Bechsteinfledermaus von oft mehr als 20 Baumhöhlen pro Hektar. Die Kernjagdgebiete, welche eng mit den Quartierstandorten verknüpft sind, müssten weitgehend geschlossen sein oder einen Bestockungsgrad > 0,6-0,7 aufweisen. In FFH-Gebieten empfehlen sie daher Waldrefugien für die Koloniestandorte als wirksame und rechtsichere Maßnahme.
Literatur
BfN & BLAK (Bundesamt für Naturschutz & Bund-Länder-Arbeitskreis; 2017): FFH-Monitoring und Berichtspflicht. Bewertungsschemata für die Bewertung des Erhaltungsgrades von Arten und Lebensraumtypen als Grundlage für ein bundesweites FFH-Monitoring. Teil I: Arten nach Anhang II und IV der FFH-Richtlinie (mit Ausnahme der marinen Säugetiere). Bundesamt für Naturschutz, Bonn.
Dietz M, Morkel C, Wild O, Petermann R (2020): Waldfledermausschutz in Deutschland: sichern FFH-Gebiete und Alt- und Totholzkonzepte den Erhaltungszustand geschützter Fledermausarten? Natur und Landschaft 95 (4): 162-171
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