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Der Naturschutz ist trotz sich verschärfender Biodiversitätskrise auf dem Rückzug
Dr. Matthias Schreiber
Derzeit lässt sich ein paradoxer Trend beobachten. Der Schwund der Biodiversität und die wachsende Zahl gefährdeter Arten rücken zwar mehr und mehr ins öffentliche Bewusstsein. Es wird außerdem deutlich, dass diese Entwicklung nicht vom Himmel gefallen ist, sondern z.B. mit der Missachtung europäischen Naturschutzrechts zu tun hat, wie mehrere gegen Deutschland laufende Vertragsverletzungsverfahren dokumentieren. Dem aufmerksamen Beobachter fällt der beklagenswerte Zustand vieler Schutzgebiete in Auge. Dennoch müssen wir aktuell eine noch nie dagewesene Häufung von Einschnitten beim Schutz der Natur konstatieren:
- Auf europäischer Ebene scheitert – trotz vorheriger deutlicher inhaltlicher Abstriche – die EU-Renaturierungsverordnung (Nature Restoration Law) auf den letzten Metern, weil man sich davon eine Beschwichtigung aufgebrachter und z.T. alle Grenzen legitimen Protests überschreitender Bauern verspricht.
- In Deutschland kommt es zu massiven Rückschritten beim Artenschutz, weil das grüne Wirtschaftsministerium die Rettung der Welt durch Windkraft ausgerufen hat, koste es an Biodiversität, was es wolle.
- Es finden nicht etwa Korrekturen beim Neubau von Fernstraßen statt, sondern auf Bundesebene verständigt sich die Ampel auf beschleunigte Verfahren für über 140 Vorhaben.
- Es kommt nicht zur ökologischen Neuausrichtung der Landwirtschaft, stattdessen erfolgt sogar die Rücknahme bescheidener Bracheprogramme auf landwirtschaftlichen Nutzflächen.
- Seit Jahren kündigt die Umweltministerin ihr Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz an. Für das Kernelement, die Förderung von naturnahen Wäldern und Mooren, liegen aber nach wie vor die erforderlichen Richtlinien nicht vor.
- Fachliche Standards bei der Planung von Vorhaben und rechtliche Korrekturmöglichkeiten für Bürger und Verbände werden unter dem Vorwand des Bürokratieabbaus Schritt für Schritt beschnitten.
Die Naturschutzverbände BUND und Nabu stehen ratlos daneben und können dem Tempo kaum folgen. Eine irgendwie geartete Gegenstrategie ist nicht zu erkennen. Das überrascht umso mehr, weil es sich bei ihnen um mitgliederstarke Organisationen mit großen hauptamtlichen Apparaten handelt: Der Nabu hat den Angaben auf seiner Homepage zufolge 940.000 Mitglieder. Das sind fast so viele, wie bei SPD, CDU/CSU und Grüne zusammen eingeschrieben sind (985.000 für 2023 lt. Wikipedia). Nimmt man die Mitglieder und Förderer des BUND dazu (470.000 Mitglieder lt. Wikipedia; hinzu kommen die des Bund Naturschutz in Bayern), sind in den beiden großen Umweltverbänden (auch unter Berücksichtigung von Doppelmitgliedschaften) deutlich mehr Menschen organisiert als in allen Parteien des deutschen Bundestages.
Die Größe der Umweltbewegung und die Aufmerksamkeit für die Naturschutzthemen stehen also in keinem Verhältnis zu den massiven Rückschritten der vergangenen zwei Jahre, die noch dazu unter Regierungsbeteiligung von Bündnis 90/Grüne auf Bundesebene und in vielen Ländern erfolgt sind, wovon gemeinhin vielmehr ein Schub in die genau andere Richtung erwartet worden war.
Ein paar Beobachtungen zu den Ursachen der geringen Wirksamkeit
Wichtige Gründe für den geringen Durchsetzungsgrad des Naturschutzes sind nach meiner Beobachtung bei der Naturschutzbewegung selbst und hier insbesondere den beiden bundesweit organisierten Naturschutzbund Deutschland (Nabu) und Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) zu suchen.
Thematische Verzettelung und ineffektive Doppelstrukturen
Insbesondere Nabu und BUND müssen sich fragen lassen, ob sie sich nicht zunehmend verzettelt haben und damit auf keinem Feld mehr die nötige Kompetenz und das erforderliche Durchsetzungsvermögen vorweisen können. Es mag mit dem Aufkommen des Umweltschutzgedankens noch ein geeigneter Ansatz gewesen sein, möglichst viele Themen zu besetzen, weil auf man ein inhaltliches Vakuum in Politik und Verwaltung traf. Das hat sich aber deutlich geändert. Bei vielen Fachthemen sind mittlerweile leistungs- und durchsetzungsstarke Verwaltungen etabliert, weshalb sich die Frage stellt, ob die Naturschutzverbände ihre Ressourcen nicht besser bündeln sollten.
Im Naturschutz ist ein solcher Effekt bisher ausgeblieben. Naturschutzverwaltungen sind zu wesentlichen Teilen mit der Bewältigung von Eingriffsvorhaben befasst. Hier stehen sie vielfach mit dem Rücken an der Wand und werden als Bremser wahrgenommen, während es an Kapazitäten für die Umsetzung von weiterführenden Schutzkonzepten nach wie vor fehlt. Daraus haben die Naturschutzverbände bisher keine Konsequenzen gezogen. Schlimmer noch: Parallelstrukturen in den beiden großen Verbänden, teilweise auch zwischen den verschiedenen Verbandsebenen der beiden Verbände, begrenzen den Handlungsspielraum und stehen Entwicklung kraftvoller Initiativen im Wege.
Deshalb gelingt es auch nicht, ein kritisches Gegengewicht zu der Flut an „Leitfäden“, „Arbeitshilfen“ und „Fachkonventionen“ zu schaffen, die als Praxishilfen daherkommen, oft aber von Eingreiferseite (Straßenbau, Windkraftindustrie, Bodenabbauverbänden usw.) veranlasst wurden und im Ergebnis fast immer rechtliche und fachliche Standards mit dem Siegel vermeintlicher Fachlichkeit schleifen. So dominieren von Straßenbauverwaltungen veranlasste Leitfäden nicht nur den Arten- und Habitatschutz in Straßenbauverfahren, sondern ufern auch in andere Bereiche aus. Die immer weiter um sich greifende Erosion naturschutzrechtlicher Standards sind die Folge. Auch entsprechende Ausarbeitungen des BfN und verschiedener Landesfachbehörden haben zu diesen Entwicklungen beigetragen. Der außerbehördliche Naturschutz bleibt hierzu stumm. Erst recht fehlt es an Kapazitäten und Initiativen, um den Schutz der Biodiversität wieder in die Offensive zu bringen.
Stattdessen: Kurzatmiges Themenhopping und das Schielen auf schnelle Schlagzeilen
Die Umsetzung von Naturschutzzielen erfordert das „Bohren dicker Bretter“. Stattdessen kennzeichnet die Arbeit der hauptamtlichen Verbandsebenen ein hektisches Themenhopping auf der Jagd nach schnellen Pressemitteilungen zu gerade aktuellen Themen, die dann manchmal gedruckt werden, oft aber auch nur die Adressaten im E-Mailverteiler erreichen. Den Takt gibt die Pressearbeit vor. Inhaltliche Arbeit an Naturschutzthemen funktioniert jedoch anders und liefert mitunter erst nach Jahren Ergebnisse, die mitteilenswert sind. Dieser lange Atem ist in der Arbeit nicht angelegt.
Ein guter Beleg dafür ist der Umgang mit der Weltnaturschutzkonferenz (COP 15) in Montreal und die Aufregung um das Ziel, 30% der Land- und Meeresfläche bis 2030 unter effektiven Schutz zu stellen. Daran schloss sich die monatelange Erregung um die EU-Renaturierungsverordnung an, die das Ziel für wenigstens 20 % der EU-Fläche verfolgte. Gänzlich ausgeblendet blieb dabei, dass wir es in Deutschland über mehr als 40 bis über 30 Jahre nicht vermocht haben, unseren Anteil am europäischen Schutzgebietsnetz von 15% der Landfläche (Vogelschutzgebiete bzw. FFH-Gebiete) in einen auch nur akzeptablen Zustand zu bringen. Wie ausgeblendet ist die schlichte Tatsache, dass der Weg zu 20 oder 30 % Naturschutz unweigerlich über die Umsetzung der ersten, bereits gesetzlich fixierten 15 % führen müssen!
Die Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen des Verlustes artenreichen Grünlands oder wegen der massiven Umsetzungsdefizite bei der EU-Vogelschutzrichtlinie, die auch über 40 Jahre nach Inkrafttreten nicht ausgeräumt sind, hatten lediglich einzelne Pressemitteilungen zur Folge. Umfangreiche Detailinformationen, die von den Bundesverbänden erarbeitet worden waren, liegen in einem Umfang brach, wie man es sich aus Gründen der Ernährungssicherheit nicht einmal für Intensiväcker wünschen dürfte.
Mit „natürlichem Partner“ im Kulturkampf gegen die anderen?
Die Naturschutzverbände haben sich politisch viel zu lange einseitig auf Bündnis 90/Grüne verlassen in der Annahme, man habe es hier mit einem natürlichen Partner in Sachen Naturschutz zu tun. Das hat sich immer dann als eine komplette Fehlkalkulation erwiesen, wenn Grüne an Landes- oder Bundesregierungen beteiligt waren. Dann zeigte sich nämlich, dass Naturschutzbelange keinen wesentlich höheren Stellenwert erhielten als in anderen politischen Farbkonstellationen. Das liegt nur zum Teil daran, dass Grüne oft nur (kleiner) Juniorpartner sind. Viel gewichtiger ist der Umstand, dass Naturschutz hier ebenfalls keinen besonderen Stellenwert hat.
Die enge und offen zutage tretende Verbindung hatte zur Folge, dass es für die übrigen Parteien gar nicht erst lohnte, auf dem Feld des Naturschutzes größere Anstrengungen zu unternehmen, sondern es zielführender war, sich von vornherein auf die übrige Wählerschaft zu konzentrieren. Wahltaktisch bot das sogar die Möglichkeit, ökologische Themen zu einer Frage des Kulturkampfes zu machen und so die eigenen Reihen zu schließen. Für Fortschritte auf dem Feld des Naturschutzes sind das denkbar schlechte Ausgangsbedingungen.
Keine Entwicklung einer ernstzunehmenden Verhandlungs“macht“
Das bisherige Agieren der Naturschutzverbände hat sie nicht in die Lage versetzt, einen entscheidenden Einfluss auf die Ausrichtung und das Tempo der Ausgestaltung des Naturschutzes in Deutschland zu nehmen. Das haben weder ihre schiere Größe noch ihre täglichen Pressemitteilungen bewirkt. Ein ernst zu nehmendes Gewicht haben sie auch nicht durch Petitionen, Unterschriftensammlungen oder schnell geschriebene Beschwerden an die EU-Kommission erlangt. Es bleibt ebenso unergiebig, wenn Verbandsspitzen selbst „ihr volles Gewicht“ in persönliche Verhandlungen bei ihren Kernthemen einbrachten. So ist der Nabu-Präsident bei seinen Gesprächen mit Dr. Robert Habeck, mittlerweile Bundeswirtschaftsminister, und Oliver Krischer, mittlerweile Landesumweltminister in Nordrhein-Westfalen, beim Thema Windkraft und Artenschutz zugunsten reiner Wirtschaftsinteressen mit Schwung über den Tisch gezogen worden.
Keine Besinnung auf die eigenen Stärken
Die großen Naturschutzverbände haben es mehr und mehr versäumt, eine ganz wesentliche Stärke auszubauen, die weit verzweigte Basis! Beide großen Verbände haben nicht nur beeindruckende Mitgliederzahlen, sie verfügen neben der Bundesebene auch über Landesverbände mit hauptamtlichen Geschäftsstellen. Der Nabu ist stolz auf bundesweit etwa 2.000 Gruppen, ebenso viele sind es beim BUND. Für effiziente Kampagnen zur Umsetzung von Naturschutzzielen wird diese breite Basis jedoch nicht wirkungsvoll eingesetzt. Vielmehr erlebt man in den Verbänden ein weitgehendes Nebeneinander-her-arbeiten.
Unausgeschöpft bleibt auch das erhebliche Potenzial ehrenamtlicher Expertise zu verschiedenen Fachthemen in den Verbänden. Beispielhaft sei auf Vogelschutz und Ornithologie im Nabu verwiesen. Der Blick hinter die Kulissen liefert hier den Eindruck, dass das Mitwirken von den Geschäftsstellen eher pflichtschuldig geduldet wird, ohne aber wirklich eine Idee zu haben, wie man deren Fachverstand zielgerichtet und mit der gebotenen Ernsthaftigkeit einbeziehen könnte.
Wie kommt der Naturschutz wieder in die Offensive?
Die oben identifizierten Schwachstellen liefern die Stichworte für eine effizientere Naturschutzstrategie.
Bündelung der Kräfte in einem Kompetenzzentrum „Naturschutz“
Die großen Verbände müssen Verbandsegoismen überwinden und ihre Kräfte in einem gemeinsamen Kompetenzzentrum „Naturschutz“ bündeln, in dem Personal und finanzielle Mittel konzentriert werden, um gemeinsame Strategien zur Verbesserung des Naturschutzes in Deutschland zu entwickeln. Dazu würden z.B. kontinuierliche Bilanzen und Fortschrittsberichte bei der Umsetzung von Natura 2000 oder des Artenschutzes gehören. Zu den Aufgaben würde z.B. auch eine kritische Sicht auf behördliche Standardisierungen, Leitfäden usw. zählen. So könnte ein kritisches und fachlich fundiertes Gegengewicht zu Positionen weisungsgebundener Fach- und Eingriffsverwaltungen oder interessengeleiteter anderer Kompetenzzentren geschaffen werden.
Rückendeckung für Verwaltungen, Anziehungspunkt für Wissenschaft
Ein von den großen Naturschutzverbänden getragenes, unabhängiges Kompetenzzentrum „Naturschutz“ würde nicht nur die Grundlage für eine Neuausrichtung der Öffentlichkeitsarbeit und Kampagnen der Naturschutzverbände bilden, sondern könnte auch für andere Akteure im Naturschutz attraktiv sein.
Engagierte Naturschutzmitarbeiter in Verwaltungen, oftmals auf sich allein gestellt, könnten auf fundierte Materialien zugreifen und auf externe kompetente externe Unterstützung setzen. Am Naturschutz interessierte Wissenschaftler hätten die Möglichkeit, ihre Expertise effizient einzubringen, ohne selbst in die Rolle von Aktivisten schlüpfen zu müssen und sich so als Wissenschaftler der Kritik auszusetzen.
Neuausrichtung der Öffentlichkeitsarbeit im Naturschutz
Auch die Öffentlichkeitsarbeit zum Naturschutz muss eine Neuausrichtung erfahren. Sie darf nicht mehr zuerst auf die schnelle Meldung für die Tagespresse abstellen. Insbesondere die Arbeiten im verbändeübergreifenden Kompetenzzentrum „Naturschutz“ würde nach einer Anlaufphase regelmäßig Materialien und Neuigkeiten liefern, die sowohl für die Tagespresse als auch für die Fachpresse bzw. Fachzeitschriften verwertbar wären und so die Verbände, aber auch ihr Anliegen des Naturschutzes, in einem neuen Licht erscheinen ließen.
Ergänzt werden sollte eine solche Öffentlichkeitsarbeit außerdem durch regionale Differenzierung. Ziel der Öffentlichkeitsarbeit wären nicht allein die überregionalen Medien oder die Abendnachrichten. Eine fachlich fundierte Regionalisierung der Öffentlichkeitsarbeit würde gleichzeitig „in die Breite“ wirken und so ebenfalls eine hohe Reichweite erzielen. Ein gemeinsames Kompetenzzentrum „Naturschutz“ würde die fachliche Grundlage dafür bereithalten und könnte ggf.– in Verbindung mit den örtlichen Gruppen – auf Nachfrage weitere Detailinformationen ergänzen.
Wie so etwas aussehen könnte, lässt sich anhand des jüngst von der EU-Kommission eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland zur EU-Vogelschutzrichtlinie verdeutlichen. Hier bietet das umfangreiche Material, das der BUND hat ausarbeiten lassen, die Möglichkeit, mit Bild- und Kartenmaterial auf besonders auffällige Defizite einzelner Länder zu verweisen. Das Aussterben des Goldregenpfeifers beispielsweise betrifft Niedersachsen. Fehlende Schutzgebiete für ausgewählte Arten treffen verschiedene Länder in sehr unterschiedlichem Umfang. Sofern es um die Bestandsrückgänge der ausgewählten Arten geht, so lassen sich beispielhaft einzelne Gebiete hervorheben, wo die Vögel mittlerweile gänzlich verschwunden sind, und damit die örtlichen Medien bedienen. Das Thema würde damit in die Breite getragen und konkret. In gewissen Zeitabständen könnte nach mittlerweile eingeleiteten Maßnahmen gefragt werden, wenn das nicht von den Medien selbst aufgegriffen wird. In gleicher Weise könnte auch mit dem Verfahren wegen des Rückgangs der Graslandlebensräume in den FFH-Gebieten verfahren werden. Hier gibt es nicht nur länderspezifische Besonderheiten, sondern eine Liste von mehreren hundert Gebieten, verstreut über das Bundesgebiet, für die sich die Defizite konkretisieren lassen.
Kampagnenfähig werden und dezentral agieren!
Als zentrales Element der künftigen Arbeit sehe ich es an, in Sachen Naturschutz kampagnenfähig zu werden und das Thema systematisch in die Regionen zu tragen. Einen guten ersten Einstieg mit Blick auf Natura 2000 bieten dafür wiederum die beiden laufenden Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland. Überall vor Ort ließen sich die Defizite in den einzelnen, namentlich genannten Gebieten thematisieren. Gleichzeitig könnten aber auch konkrete Forderungen zur Gebietsentwicklung an die zuständigen Verwaltungen und an die regionale Politik herangetragen werden.
Es ist kein Geheimnis, dass ein nicht unwesentlicher Anteil der Orts- und Kreisgruppen mit einer solchen Aufgabe überfordert wäre, weil sie ihre Arbeitsschwerpunkte im praktischen Naturschutz in eigenen Schutzgebieten, bei der Öffentlichkeitsarbeit und anderen, eher niederschwelligen Themen haben. Das ist auch in Ordnung so. Sie sollen deshalb mit den hier thematisierten Schwerpunkten nicht weiter überfordert werden. Wenn es aber gelänge, nur 5-10 % der lokalen und regionalen Gruppen für solche Kampagnen zu motivieren, zu schulen und mit einschlägigen Materialien zu versorgen, würde eine erhebliche Breitenwirkung erreicht, die ebenso für die lediglich koordinierenden Landes- und Bundesverbände einzahlen würde. Das gilt sowohl für die Medienpräsenz als auch für das Gewicht, das den Verbänden in politischen Gesprächen zuwachsen würde.
Ob solche Kampagnen auf der Ebene der Öffentlichkeitsarbeit, bei Gesprächen mit Politik und anderen Akteuren, bei selbst initiierten praktischen Arbeiten oder dem Einsatz von Rechtsmitteln enden, hängt vom Einzelfall ab, wäre aber durch das Kompetenzzentrum „Naturschutz“ und die beteiligten Landes- bzw. Bundesverbände vorzubereiten und zu begleiten.
Politische Lockerungsübungen
Die Naturschutzverbände sollten sich politische „Lockerungsübungen“ verordnen und vor Augen führen, dass der Erhalt der Biodiversität kein (politisch) grünes Thema ist, sondern alle angeht und auch die anderen demokratischen Parteien darauf Antworten zu liefern haben. Deshalb sind Gesprächsfäden zu allen demokratischen Parteien auf allen Ebenen in gleichem Umfang zu suchen, um mit ihnen Lösungsansätze zum Naturschutz zu diskutieren und sie für die Umsetzung in die Pflicht zu nehmen. Vor Ort können die konkreten Defizite aus den Vertragsverletzungsverfahren den Einstieg bilden.
In gleicher Weise sind auch Dialogoffensiven in Richtung derjenigen anzustrengen, die von der Umsetzung in wirtschaftlicher Weise betroffen sind oder betroffen zu sein glauben (z.B. Land- und Forstwirte). Eigene Erfahrungen zeigen, dass hier Verständigungen möglich sind, wobei die laufenden Vertragsverletzungs- bzw. Klageverfahren einen Handlungsdruck schaffen, der eine Suche nach – gemeinsamen - Lösungen erfordert und befördert:
- Der Schutz der Biodiversität ist für alle unverzichtbar.
- Das EU-Recht gibt einen demokratisch geschaffenen, verbindlichen Rahmen vor.
Wegen langjähriger Versäumnisse droht eine Verurteilung durch den Europäischen Gerichtshof, die spätestens Maßnahmen erzwingt.
Wird all das reichen?
Es muss für den hier skizzierten Weg offen bleiben, wie weit Naturschützer auf ihm kommen werden. Fortschritte werden auch davon abhängig sein, inwieweit und wie schnell es gelingt, sich in der Fläche als relevanter Akteur für den Naturschutz, ausgestattet mit einer respektierten Verhandlungsmacht, zu etablieren.
Der Ansatz schlägt ein „Fahren auf Sicht“ vor, der sich zuerst einmal auf das konzentriert, was längst etabliert sein sollte (Natura 2000) bzw. auf Rückgewinnung dessen, was in der Planungs- und Genehmigungspraxis der letzten 15 Jahre erodiert ist (Habitat- und strenge Artenschutz). Das ist auf Jahre Aufgabe genug. Es schließt die weiter gehenden Ziele keineswegs aus, ermöglicht aber, auf dem Weg dahin nachzusteuern und ggf. Nachforderungen besser begründen zu können, weil in definierten Themenfeldern oder in regional differenzierter Weise Defizite unabweisbar weiter bestehen.
Klar muss jedenfalls sein, dass nach den tief enttäuschenden Entwicklungen auf politischer Ebene dem Engagement der Naturschutzverbände eine zentrale Rolle bei der Wahrung der Biodiversität zukommt und ein „weiter so wie bisher“ für sie keine akzeptable Option sein darf, weil so der Abwärtstrend nicht zu stoppen sein wird.
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