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Anmerkungen zu den Ergebnissen des Koalitionsausschusses vom 28.03.2023
Dr. Matthias Schreiber
Man weiß gar nicht, was man zu den Ergebnissen des Koalitionsausschusses noch sagen soll. Das gilt nicht nur für die vielen Punkte in Sachen Klimaschutz, die in den Medien weitgehend mit Kopfschütteln und Unverständnis aufgenommen wurden:
Die Sektorenverantwortung für den Klimaschutz wird aufgegeben, insbesondere das Verkehrsministerium ist mit seiner Verweigerungshaltung durchgekommen. Damit fällt die Ampel sogar hinter die Ambitionen der letzten großen Koalition zurück.
Dafür gibt es für das Verkehrsministerium, welches sich selbst bei den einfachsten MInderungsmaßnahmen (Geschwindigkeitsbeschränkungen im Straßenverkehr) konsequent verweigert hat, eine Planungsbeschleunigung für 144 Verkehrsvorhaben. Was auf den ersten Blick zumindest Gegner von Verkehrsprojekten wie der A20, der A33 oder der A39 ein wenig trösten mag, kann leicht in einem bösen Erwachen enden. Denn diese Vorhaben sind damit ja nicht auf Eis gelegt oder gar vom Tisch. Es ist nicht einmal gesagt, dass sie nicht dennoch vorgezogen vorangetrieben werden. Und schon bei den nicht noch einmal zusätzlich beschleunigten Verfahren sind die rechtlichen Möglichkeiten dagegen, trotz aller ökologischen Defizite in den Planungen, durch den längst eingeschränkten gesetzlichen Rahmen und die gerichtliche Praxis in einem hohen Maße entkernt.
Bündnis 90/Grüne soll es wohl zum Trost dienen, dass entlang der Neubauvorhaben künftig erneuerbare Energien installiert werden. Abgesehen davon, dass Fotovoltaik entlang von Autobahnen sowieso schon privilegiert war, fragt sich, wie genau das aussehen soll, dass Flächen „entlang jedes neuen Autobahnkilometers“ für Erneuerbare Energien wie Fotovoltaik genutzt werden sollen (Ricarda Lang auf der Pressekonferenz zu den Ergebnissen des Koalitionsausschusses). Dabei dürften erhebliche technische und planerische Probleme auftreten: Solarpaneele an Lärmschutzwänden? Flächige Fotovoltaik entlang der Autobahnen? Windkraftanlagen neben den Trassen? Dass ein solches Versprechen geradezu abwegig ist, möge man sich z.B. anhand des nun beschleunigt umzusetzenden Verlaufs der A30 zwischen dem Lotter Kreuz und dem Autobahnkreuz Osnabrück Süd vor Augen führen; Die Trasse führt vorbei an Wald oder direkt entlang von Siedlungen, die Errichtung scheitert vielerorts bereits am fehlenden Platz. Den Effekt beurteilen Experten daher nach einer Recherche des Spiegel als überschaubar. Sollen die Erneuerbaren hier zeitgleich mit der Planung der Straße erfolgen, welche Konsequenzen hat das für die Genehmigungsdauer? Alles unklar! Es überrascht eigentlich nur noch, dass nicht zusätzlich auch noch Blumenkästen an Lärmschutz- und Fotovoltaikwänden vereinbart wurden, die dann jährlich mit Blühmischungen zur Förderung von Wildbienen beschickt werden.
„Beschleunigung und Effektivierung des Naturschutzes“
Nachdem Klimaziele aufgeweicht und Eingriffsvorhaben aller Art beschleunigt worden sind, findet sich auch noch ein alles in allem ziemlich unverständliches Kapitel zum Naturschutz, welches mit dem Bekenntnis einleitet, dass „der Erhalt unserer Artenvielfalt die zweite große ökologische Aufgabe unserer Zeit und dieser Koalition“ ist. Etwa 10 % der Vereinbarung widmen sich dieser „zweiten großen ökologischen Aufgabe“. Platzmäßig nehmen die Überlegungen ungefähr so viel ein wie zu „Antriebswechsel Lkw und schwere Nutzfahrzeuge“ aufgeschrieben wurde.
Die weiteren Ausführungen zeigen, dass es dieser Koalition an jeglichem Gespür für die Belange des Naturschutzes fehlt. Denn in diesem Abschnitt geht es um nichts wirklich Neues für den Naturschutz, sondern eigentlich nur um den Umgang mit Ausgleichsflächen. Sie soll man für Umwelt- und Naturschutzvorhaben „vernetzt denken, damit die Flächennutzung künftig zielgenauer entwickelt wird.“ Was dabei nicht fehlen darf: „Dies soll in einem Konsultationsprozess mit Verbänden, Praxis und Wissenschaft vorbereitet werden“. Im Einzelnen soll dem Zielkonflikt Naturschutz – Ausbau von Infrastruktur durch verschiedene Maßnahmen “Rechnung getragen werden“:
„Um den vernetzten Naturschutz zu stärken und großräumig arrondierte Gebiete zu schaffen, sollen künftig Flächen für den Umwelt- und Artenschutz und die Qualität von Maßnahmen gesichert werden.“ Dann folgt aber, worum es offensichtlich vor allem geht: „Die Kompensation der Eingriffe kann auch durch entsprechende Zahlungen erfolgen. Damit können die Vorhabenträger Infrastrukturprojekte einfacher und schneller planen.“
Ein weiterer Punkt sieht vor, die Möglichkeit zu schaffen, „einen zusammenhängenden länderübergreifenden Biotopverbund als Vorrangfläche zu definieren“, um genügend vernetzte Flächen für die Renaturierung und den Naturschutz zu sichern. Das soll durch ein Flächenbedarfsgesetz geschehen. Wo hier allerdings der Fortschritt liegen soll, erschließt sich nicht. Denn das Ziel eines Biotopverbunds steht seit 2010 im Bundesnaturschutzgesetz. Und seit 1981 bzw. 1992 besteht über die EU-Vogelschutz- und die FFH-Richtlinie die Verpflichtung zum Aufbau eines zusammenhängenden Schutzgebietsnetzes. Was dieser reichlich allgemein gehaltene Ansatz aus dem Papier des Koalitionsausschusses bewirken soll, nachdem nationale und europäische gesetzliche Vorgaben über Jahrzehnte am mangelnden Umsetzungswillen (übrigens aller Parteien) in Deutschland gescheitert sind, bleibt offen.
Vorausgehen soll lt. Koalitionsausschuss all dem übrigens, „die Qualität und Quantität der bestehenden, der benötigten und der möglichen Kompensationsflächen zu erfassen.“ Wer sich allerdings schon einmal an der Bilanzierung von Kompensationsflächen versucht hat, weiß, dass dies bereits auf Ebene eines Landkreises eine schier unlösbare Aufgabe ist, weil schon auf dieser unteren Ebene ein vollständiger Überblick kaum herstellbar ist. Ein vollständiges Kataster der Kompensationsflächen fehlt. Häufig sind Maßnahmen gar nicht erst umgesetzt, eine kontinuierliche Erfolgskontrolle findet nicht statt. Die Voraussetzung der hier geforderten Erfassung verschiebt damit alle weiteren Schritte auf den St. Nimmerleinstag, bis zu dem sich dann Verbandsfunktionäre und Verwaltungsmitarbeiterinnen in immer neuen Treffen des Konsultationsprozesses die Unvollständigkeit der Datenlage bescheinigen werden.
Besonders bemerkenswert ist schließlich Punkt 7 aus dem Naturschutzkapitel: „Zugleich nutzt die Bundesregierung die Verhandlungen über Go-To-Areas im Rahmen der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie II (RED II), um die Beschleunigungen der EU-Notfallverordnung zum Ausbau der Erneuerbaren Energien, die sich bewährt haben, dauerhaft zu etablieren. Bis dahin setzen wir uns für eine Verlängerung der Notfallverordnung ein.“ Das ist die Regelung, mit der UVP und Artenschutz in deutschen Planungsverfahren praktisch aufgehoben werden. Wieso die sich „bewährt“ haben soll, bleibt schleierhaft, denn Praxisfälle gibt es dazu noch gar nicht.
Es wäre spannend zu erfahren, welcher „Experte“ beim Themenblock zum Naturschutz die Feder geführt hat!
Können Grüne eigentlich Umweltschutz?
Nimmt man die Neuregelungen im Bereich Umwelt der vergangenen Monate zusammen, ergibt sich insgesamt ein erschütterndes Bild, das von Rückschritten auf gleich mehreren Feldern des Natur -und Umweltschutzes geprägt ist. Für einige wird man Bündnis 90/Grüne nur zum Teil verantwortlich machen können. Das gilt etwa für die jüngst beschlossene Aufgabe der Sektorenverantwortung beim Klimaschutz. Wenn FDP und SPD, die selbst bei existenziellen Themen wie Klima- und Biodiversitätsschutz erkennbar keine nennenswerten Ambitionen haben, nicht wollen, dann sind die Möglichkeiten begrenzt.
Zornig machen aber Entscheidungen auf Feldern, die die Grünen allein zu verantworten haben. Der von Habeck ohne Rücksicht auf Biodiversitätsverluste vorangetriebene Ausbau der Windkraft mit fachlich indiskutablen und rechtlich fragwürdigen Beschneidungen beim Artenschutz und der UVP lassen den Eindruck wachsen, dass auch Bündnis 90/Grüne gar nicht in der Lage oder nicht willens ist, die beiden globalen Umweltprobleme, die Biodiversitäts- und Klimakrise, zusammen zu denken und austariert anzugehen. Ins Bild passt dazu dies: Für das nun schon mehrfach angekündigte und am 29.03.2023 im Kabinett beschlossene Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz werden die Förderrichtlinien im Herbst, z.T. aber wohl erst nächstes Jahr fertig sein, wie eine Vertreterin des Bundesumweltministeriums bei einer Online-Tagung auf Nachfrage einräumte. Dann ist die halbe Legislaturperiode verstrichen und es kaum vorstellbar, dass in den verbleibenden, knapp zwei Jahren vier Milliarden € zweckgerichtet verwendet werden können.
Ein bisschen Hoffnung kann man noch auf grüne Ministerien in den Ländern setzen. Sie hätten im Rahmen ihrer ureigensten Zuständigkeiten die Möglichkeit, z.B. bei Straßenbauvorhaben auf eine konsequente Umsetzung mancher Umweltbelange zu erzwingen, die bisher unter den Tisch gefallen sind. Sie hätten auch die Möglichkeit, im Rahmen eigener Leitfäden oder freiwilliger Vereinbarungen die Habeck’schen Zumutungen beim Ausbau der Windkraftnutzung wieder einzufangen.
Bleiben auch solche Korrekturen aus, bleibt nur festzustellen, dass auch Grüne keinen Umweltschutz können und wir hinsichtlich der beiden für die Menschheit existenziellen Fragen „Gefährdung der Biodiversität“ und „Klimawandel“ wieder da stehen, wo wir in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts einmal waren – die Belange haben keine echte Lobby!
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