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Quantitative und qualitative Stadtentwicklung
Carolin Kunz
Herr Otte, Sie sind gebürtiger Osnabrücker und seit 2013 Stadtbaurat, haben aber zeitweise auch in anderen Städten unterschiedlicher Größe gelebt. Was macht für Sie die Attraktivität und Lebensqualität unserer Stadt aus?
Osnabrück hat ein sehr gutes Verhältnis von Größe, Umland und Nähe zu Metropolen – man ist in 2-3 Stunden in Berlin, Amsterdam, Hamburg oder Köln. Das finde ich faszinierend. Gleichzeitig aber auch in einer Stadt zu leben, die ein kulturelles Angebot, Einkaufsmöglichkeiten, Lebensqualität hat und trotzdem aber nicht so riesig ist, dass man in Großstadtstress gerät. Man kann einigermaßen ruhig mitten in der Stadt wohnen und hat trotzdem alles vor der Haustür. Das sind enorme Qualitäten.
Wo sehen Sie die Stärken Osnabrücks, die es für die Zukunft zu schützen gilt?
In dieser Kombination, insbesondere aber in der Qualität, dass wir aus der Innenstadt heraus sofort im Grünen sind – über die Grünen Finger, die mitten in die Stadt bis fast ins Zentrum hineinragen. Vom Zentrum aus bin ich in 300, 400 m auf dem Westerberg in einer Grünzone, von wo ich, wenn ich es geschickt mache, bis zur holländischen Grenze wandern kann, ohne durch irgendeine Siedlung zu kommen. Das ist eine enorme Qualität, die es wirklich zu schützen gilt und die wir mit dem Grüne- Finger-Projekt versuchen so zu sichern, dass sie auch für zukünftige Generationen erhalten bleibt.
Es heißt, Osnabrück sei stark am wachsen. Gefühlt ist es das auch, es wird immer enger, dichter, gedrängter im Stadtgebiet. Wo früher Gärten waren, stehen heute Häuser, es entstehen neue Straßen, Wohn- und Gewerbegebiete. Wenn man sich die Zahlen anschaut, stimmt das aber nicht. Ein Blick in die Statistik zeigt, dass die Einwohnerzahl zwischen 2014 und 2019 von 160.000 auf 171.000 Einwohner angestiegen ist, sich seitdem jedoch relativ konstant um 170.000 herum bewegt. Soll oder muss Osnabrück weiter wachsen?
Diese Frage wird nicht unbedingt von uns gestellt, sondern wird von anderen Menschen gestellt. In den letzten Jahrzehnten gab es immer wieder Intervalle von Flucht aufs Land und Flucht wieder zurück in die Städte. Das ist auch teilweise innerhalb der Lebensspanne eines Menschen so. Viele Leute sind, als ihre Kinder klein waren, in die umliegenden kleineren Ortschaften gezogen, weil sie da Qualitäten sahen. Nun sind die Kinder aus dem Haus, kommen auch sehr wahrscheinlich nicht zurück. Es lohnt sich nicht, das große Einfamilienhaus auf dem Land zu erhalten, und so ziehen diese Menschen wieder zurück in die Stadt. Wir müssen eine gesunde Kombination finden, dass wir den Menschen die Lebensräume bieten, die sie gerne haben möchten, und gleichzeitig aber zu einem Mobilitätsverhalten kommen, das die Leute in die Lage versetzt, auch in den Stadtrandgebieten oder im Stadtumlandbereich zu leben und trotzdem die Qualitäten der Stadt nutzen zu können. Dann wird sich der Druck in die Städte verringern. So hängen also die Entwicklung der Stadt und die Mobilität ganz eng miteinander zusammen.
Der zweite Aspekt ist, dass wir allesamt seit Jahrzehnten immer mehr Fläche verbrauchen, weil wir auch ohne Zuzug einfach deutlich größere Wohnungen brauchen als früher. Das ist eine gesellschaftliche Aufgabe, die es zu lösen gilt und die die Stadt natürlich nicht alleine lösen kann: Dass die Menschen zufrieden sind mit einer kleineren Wohnung. Oder dass sie flexibler werden, wenn sich die persönliche Situation ändert, dann auch ihre Wohnsituation zu ändern. Sie folgen nicht der eigenen Lebenssituation. Das sehen wir bei unseren Nachbarn in den Niederlanden völlig anders, die wechseln dann das Haus oder die Wohnung. Da ist man dann auch mal innerhalb eines größeren Lebensabschnitts durch 3 oder 4 Häuser oder Wohnungen gezogen. Erst ein kleines; wenn die Kinder kommen, nimmt man ein größeres Haus, dann nimmt man wieder das kleinere, und wenn ein Lebenspartner dann verstorben ist oder eine Ehe sich auflöst, dann nehmen beide noch kleinere Wohnungen. Das ist bei uns leider nicht so. Wir haben zuhauf Häuser mit 150, 180 m² Wohnfläche, in denen nur eine Person lebt. Oder ganze Straßenzüge, wo früher in jedem Haus 7 bis 8 Personen lebten, und heute 2.
Daran können und müssen wir arbeiten, indem wir in allen Stadtteilen unterschiedlichste Produkte des Wohnens zur Verfügung stellen, damit die Leute in ihrem sozialen Umfeld bleiben können und trotzdem die Möglichkeit haben, auch eine kleinere Wohnung zu nehmen. Wir müssen dann daran arbeiten, dass die Mietpreise sich nicht gegenläufig entwickeln, denn im Augenblick ist es für mich NICHT billiger, aus einer 100 m² Wohnung auszuziehen in eine 60 m² Wohnung, weil ich nichts spare. Pro m² ist die kleinere Wohnung einfach teurer. Da weiß ich aber auch nicht, wie wir das anpacken sollen, weil wir ja keine Mietpreisregulierung haben und das nicht bestimmen können und sagen, in dem Quartier darfst du nur 4,80 € pro m² nehmen, egal, wie groß die Wohnung ist. Das ist ein gesellschaftliches Problem, an dem wir arbeiten müssen. Dann haben wir auch in der Stadt genug Wohnraum und brauchen nicht so zu expandieren. Wie gesagt: Wir müssen selber an uns arbeiten, dass wir einfach weniger Fläche verbrauchen.
Geht die quantitative nicht zu Lasten der qualitativen Stadtentwicklung? Wann ist die Grenze des Stadtwachstums erreicht?
Die quantitative geht immer zu Lasten der qualitativen Stadtentwicklung, das ist ganz eindeutig so. Wir versuchen natürlich, die Qualität hoch zu halten, indem wir versuchen, auch die Baugebiete mit Grünflächen zu versorgen. Aber das ist auch so eine Entwicklung, die schwierig ist. Auch da wieder der Blick hinüber zu den Niederlanden: Dort haben sie in den Wohngebieten immer sehr kleine Grundstücke. Ein Freund von mir hatte ein Häuschen in den Niederlanden gekauft mit 140 m² Wohnfläche auf 90 m² Grundstück. Also sehr kleine Grundstücke. Und darum schaffen es die Städte dort auch, viel öffentlichen Raum zu schaffen. Aber dieser öffentliche Raum kostet natürlich auch viel Geld. Unser Servicebetrieb, der die Grünflächen zu pflegen hat, hat einen ständigen Personalzuwachs, und natürlich wird immer wieder von der Politik die Frage gestellt: Wenn wir neue Baugebiete machen, müssen die Flächen öffentlich sein? Sie können doch auch privat sein, dann haben die Pflegekosten die Privaten, aber sie sind dann nicht zugänglich. Sie sind einerseits nicht zugänglich, und zweitens habe ich keinen Zugriff auf die Qualität dieser Grünfläche, denn nicht jede Freifläche hat eine hohe Qualität. Wenn ich also meinen englischen Rasen auf meinem Privatgrundstück habe und dazu noch pflegeleichte Pflanzen drum herum, irgendwelche Koniferen z.B., dann hat das eine andere Qualität, als wenn ich einen Naturraum schaffe mit kleinen Wasserflächen und unterschiedlichen Pflanzenarten, die ich danach aussuche, ob sie standortgerecht sind.
Aber dieser öffentliche Raum kostet natürlich auch viel Geld, und das ist schwierig in der Politik durchzusetzen, wo die Kassen immer klammer werden.
Bis 2021 sollte Baurecht für 3.000 zusätzliche Wohneinheiten geschaffen werden. Ist dieses Ziel erreicht worden? Wie viele dieser Wohneinheiten wurden realisiert?
Es sollte Planungsrecht dazu geschaffen werden, d.h. noch nicht, sie mussten gebaut sein. Am Anfang war man sich einig über alle Parteien, dass 2500 erreicht werden sollten, das Ziel haben wir auch erreicht. Wobei die Frage „erreicht“ immer relativ ist. Bereits zu Beginn dieses Prozesses haben wir der Politik mitteilen können, dass wir für 3000 Wohneinheiten eigentlich schon Planungsrecht haben, dieses jedoch nicht abgerufen wird. Von einem Moment auf den anderen hätten wir Genehmigungen für 3000 Wohneinheiten erteilen können. Aber wir sind in einer wirtschaftlichen Lage, die diese Grundstücke nicht marktgängig macht.
Auf die Frage, welche Bauformen wir in Osnabrück brauchen: Ein Gutachten hat ergeben, dass eine hohe Nachfrage nach freistehenden Einfamilienhäusern besteht, diese aber eigentlich überhaupt nicht mehr gebaut werden sollten, weil sie enormen Flächenfraß verursachen. Aber wir haben eine ganze Menge Flächen mit Baurecht, wo noch Einfamilienhäuser gebaut werden könnten, weil nichts anderes funktioniert. Nämlich immer in zweiter Reihe, wenn ein Einfamilienhaus vorne an der Straße steht und das hintere Grundstück nur darüber erschlossen werden kann. Also da haben wir für diesen Markt auch ausreichend Flächen. Aber wir haben das Problem, dass die Menschen, provokativ gesagt, zu reich sind. Die Menschen müssen leere Grundstücke nicht verkaufen, sie müssen ihre Grundstücke nicht teilen und es zulassen, dass in zweiter Reihe noch ein Haus gebaut wird auf diesem Grundstück. Das ist äußerst ärgerlich, weil das natürlich provoziert, dass wir an anderer Stelle wieder neue Flächen ausweisen müssen, die eigentlich nicht sein müssten. Denn man muss immer sehen, und die Menschen sehen das zu wenig: Neue Flächen heißen ja nicht nur die Grundstücksfläche, die neu erschlossen wird. Es müssen Straßen dort hin. Es müssen Leitungen gezogen werden. Es müssen Buslinien dahin, damit ich den ÖPNV stärke. Das sind alles gesellschaftliche Kosten bzw. auch Kosten, die die Menschen in diesen Gebieten dann zahlen müssen.
In der Innenstadt haben sich mit dem Lokviertel, den Johannishöfen sowie Flächen am Neumarkt und in der Möserstraße ungeahnte Potenziale für den Bau von Wohnungen eröffnet. Wie viele Wohneinheiten können damit in nächster Zeit geschaffen werden?
Ich gehe davon aus, dass wir im Lokviertel mit einer optimistischen Schätzung 2000 Wohneinheiten errichten können, am Neumarkt ungefähr 1000 und in der Möserstraße 300 Wohneinheiten. Und wenn man durch die Stadt geht, weiß man, dass auch noch viele andere Gebäude, die jetzt Büros aufnehmen, durchaus geeignet sind, sie wieder zum Wohnen umzurüsten. Da ist schon ein enormes Potenzial. Es ist auch auf jeden Fall die richtige Richtung, dass wir Menschen wieder in die Innenstadt hereinholen. Denn gerade durch Corona und viel Homeoffice brauchen die Firmen nicht mehr so viel Büroraum. Als Beispiel: Die beiden großen Konzerne Bosch und Daimler haben in Stuttgart 100.000 m² Bürofläche aufgegeben, weil sie davon ausgehen, dass ihre Mitarbeiter nur noch maximal 3 Tage die Woche ins Büro kommen, und das dann wechselseitig, und dadurch dann die Büroflächen reduziert werden. Mehr Menschen in der Innenstadt wohnen zu haben ist auch ein guter Ansatz, weil der Handelsbesatz in der Innenstadt zurückgehen wird. Durch Internet, durch anderes Kaufverhalten werden wir in der Innenstadt nur noch 50 bis 75 % der Handelsflächen benötigen, die jetzt da sind. Also muss ich ja für die anderen Flächen neue Nutzungen haben. Und diese ergeben sich aus dem Bedarf der Menschen, die ja in der Stadt wohnen. Warum soll ich, wenn ich mitten in der Innenstadt wohne, ins Fitnessstudio nach Fledder fahren? Das ist Blödsinn. Bisher war es aber halt so, dass die Innenstadt handelsgeprägt war und auch die Mieten handelsgesteuert waren. Und da muss es noch ein Umdenken geben, vor allem bei den Vermietern, dass sie nicht mehr davon ausgehen können, dass die Mieten in der Kurve weiter steigen können wie bisher, sondern sie werden stagnieren oder ggf. sogar runtergehen. (CK: Man sieht ja auch schon, dass viele ihre Läden nicht mehr vermietet bekommen.) Das ist ein Problem. Wir haben leider auch manche Vermieter, die das erstmal nicht kümmert. An der Krahnstraße neben Prelle war ja früher das Apfelhäuschen drin, das hat irgendwie fast 2 Jahre leer gestanden, das konnte sich der Vermieter anscheinend leisten, ohne mit der Miete runterzugehen. Das wird ein Lernprozess sein. Wir werden also eine Zeitlang Leerstände haben, bis diese Lernkurve eingetreten ist bei den Vermietern. Also brauchen wir für die anderen Flächen neue Nutzungen, und diese ergeben sich aus dem Bedarf der Menschen, die in der Stadt wohnen. Ein Teil Handel, ein Teil Gastronomie wird in die Stadt zurückkommen, die sich das bisher nicht leisten konnten, dann aber nachgefragt werden von den Menschen, die dort leben. Bis hin zu Fitnessstudios und anderen Dienstleistungen, die ich in der Innenstadt brauche. Es werden auch ganz neue Dinge entstehen, z.B. durch 3-D-Druck kann ich in der Innenstadt einen Laden haben, der mir für alle möglichen Haushaltsgeräte meine Ersatzteile produziert. Das geht über 3-D-Drucker. Das Ding ist leise, es muss nicht im Gewerbegebiet stehen. Die Kiste ist doppelt so groß wie ein Drucker. Viele, die übers Internet ihre Produkte verkaufen, werden feststellen, dass keine weitere Steigerung möglich ist, weil viele Menschen die Produkte vorher sehen, anfassen, probieren wollen. Da wird es dann auch Showrooms geben, wo ich mir Kaffeemaschinen bis hin zu Autos einfach nur angucken und bestellen kann. Ich finde das immer faszinierend, dass es so etwas schon mal gab. In der Innenstadt waren früher von Mercedes und VW Showrooms, am Neumarkt (im Busterminal) von VW und am Berliner Platz (im Sparkassenhochhaus) von Mercedes. Da konnte man sich die Autos angucken, sich reinsetzen und bestellen. Und abholen musste man sie dann oben am Blumenhaller Weg. Da standen 2 Autos, bei VW ein bisschen mehr, da saß ein netter Mensch, ein schönes Sofa, und da wurden die Kunden empfangen. Und die neuen Firmen agieren ja schon so! Tesla ist in den Großstädten in Showrooms, Polestar, das ist die Elektrotochter von Volvo, agiert genauso. Das Auto können Sie nicht beim Volvo-Händler kaufen, sondern im Augenblick kommen die noch zu Ihnen nach Hause, wenn Sie in Osnabrück ein Interesse an so einem Fahrzeug haben, und zukünftig wird es dann auch in den kleineren Städten wie Osnabrück so einen Showroom geben. Und das geht mit anderen Produkten auch: Staubsauger. Vorwerk hat auch eine Art Showroom hier in Osnabrück, gegenüber von Peek & Cloppenburg. Das wird mit anderen Produkten genauso sein. Unterhaltungselektronik. Die Firma Teufel stellt Radios und Kopfhörer her und hat mitten in Berlin so einen Showroom, wo Sie das gewünschte Produkt bestellen können und es nach Hause geliefert kriegen, aber mitnehmen können Sie es nicht.
Was bedeutet das für die avisierten Baugebiete am Stadtrand, wie Sandbachtal, Windthorststraße, Düteniederung und Rubbenbruchweg?
Eigentlich nichts. Wir versuchen, in allen Gebieten auch ein Wohnungssegment zu haben im kostengünstigen Wohnungsbau. Das wurde so festgelegt. Man kann darüber streiten, ob die Prozentzahlen, die die Politik damals beschlossen hat, ausreichen oder höher gesetzt werden müssen. Das tut die Politik auch im Augenblick, das zu diskutieren. Ansonsten funktioniert das Ganze wie kommunizierende Röhren: Wenn ich irgendwo im hochpreisigen Segment etwas ansiedle, verringert das den Druck auf andere Teile dann auch. Was wir natürlich verhindern müssen, ist, dass sich die einzelnen Preissegmente völlig separieren. Wir wollen auf keinen Fall Ghettos bilden, wir wollen auch keine Luxus- „gated communities“ in der Stadt. Auch die einzelnen Wohnungsprodukte sind sehr unterschiedlich. Ich glaube, dass die Stadtteile auch unter dem Hinblick Homeoffice durchaus gewinnen können. Denn wir haben ja während Corona gemerkt, dass das unmittelbare Umfeld wieder sehr an Bedeutung gewonnen hat. Denn wenn ich viel Homeoffice mache, dann will ich ja auch bestimmte andere Dinge in meinem Umfeld haben. Ich arbeite nicht von morgens bis abends in eins durch, sondern ich habe den Luxus und kann das ein bisschen steuern. Ich kann auch, wenn ich nicht weiterkomme, mal einfach raus gehen und einen Kaffee trinken gehen. Meine Einkäufe mache ich wieder in meinem Stadtteil und nicht wie vorher auf dem Weg vom Büro nach Hause. Das heißt, das kann, wenn es gut gemacht, gut gestaltet ist, die Stadtteile wieder nach oben bringen.
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