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Schutz für das FFH-Gebiet „Gehn“ leere Hülle
Der „Gehn“ ist ein etwa 1.600 ha großer, überwiegend bewaldeter Höhenzug im Bereich der Stadt Bramsche. Geologisch handelt es sich um einen vor langer Zeit „steckengebliebenen“ Vulkan. Heute zeichnet sich das Gebiet durch eine Vielzahl geologisch und ökologisch wertvoller Strukturen aus. Nicht zuletzt deshalb war es für das Land Niedersachsen nicht zu vermeiden, zur Erfüllung seiner Pflichten aus der Umsetzung der europäischen Naturschutzrichtlinien auch den „Gehn“ als Schutzgebiet zu melden. Das erfolgte im Januar 2005, allerdings nur mit einer völlig zerfransten Fläche von 508,3 ha (siehe folgende Karte). Wer nun hoffte, dass wenigstens dieses Teilflächen zügig geschützt würden, wurde herbe enttäuscht.
Abgrenzung des ursprünglich gemeldeten FFH-Gebietes "Gehn"
Während die europäische Naturschutzrichtlinie eine möglichst umgehende Unterschutzstellung fordert, wurde dieser Schritt für den „Gehn“ erst 16 Jahre später vollzogen! Denn erst mit der Veröffentlichung vom 30.04.2021 im Amtsblatt des Landkreises Osnabrück wurde die „Verordnung über das Landschaftsschutzgebiet „FFH-Gebiet Gehn“ im Bereich der Stadt Bramsche, Landkreis Osnabrück vom 22.03.2021“ in Kraft gesetzt.
So gab es anfangs noch die Hoffnung, dass darin der Naturschutz besonders gründlich umgesetzt würde, war es doch eine der ersten Schutzgebietsverordnungen, die von der neuen Landrätin, Anna Kebschull (Bündnis 90/Die Grünen), unterzeichnet wurde. Aber weit gefehlt! Die Auswertung offenbarte Abgründe, anders kann man das „Werk“ nicht charakterisieren.
Schon bei der Abgrenzung kommt Misstrauen auf. Denn im Gelände sind die Grenzen des Schutzgebietes oftmals nicht wieder zu finden. Fachliche Gesichtspunkte spielten an vielen Stellen offenbar überhaupt keine Rolle, wie ein Blick auf die Feinabgrenzung weiter zeigt: Ökologisch wertlose Fichtenbestände sind von den Grenzen voll erfasst (siehe nachfolgende Abbildung), naturnahe, artenreiche Flächen dagegen willkürlich zerschnitten und ausgespart, dies gilt sogar für Lebensräume, für die das Gebiet überhaupt erst gemeldet wurde.
Fichtenforste sind kein Erhaltungsziel der FFH-Richtlinie. Im Gegensatz zu ökologisch wertvollen Flächen sind sie Bestandteil des Schutzgebietes.
Bei genauer Betrachtung fällt außerdem auf, dass die aktuelle Grenze von der seinerzeit gemeldeten abweicht. Ausgespart sind (zufällig?) Bereiche, in denen im Sommer ein vermutlich ungenehmigter Tonabbau erfolgte (dazu in Kürze mehr). Woanders betrifft es Flächen, die künftig für den Bodenabbau vorgesehen sind. Es ist durch die Rechtsprechung jedoch schon lange geklärt, dass solche wirtschaftlichen Belange bei der Abgrenzung von Gebieten nicht berücksichtigt werden dürfen. Das sollte auch dem Landkreis als Verordnungsgeber bekannt sein.
Grenze des geschützten FFH-Gebietes "Gehn".
Jeder Beschreibung spotten jedoch die inhaltlichen Defizite, die an zwei Beispielen aus der Einwendung des Umweltforums Osnabrücker Land e.V. vom 29.01.2021 veranschaulicht werden sollen.
Beispiel 1: Im Gebiet soll die Bechsteinfledermaus (Myotis bechsteinii) geschützt werden. In der Begründung zur Verordnung findet sich dazu die folgende Information: „Es sind zwei Wochenstuben am nördlichen und am südwestlichen Rand außerhalb des Schutzgebietes bekannt. Nach einem Monitoring 2014 wird z. B. in der südwestlich gelegenen Kolonie, die aus mehreren Quartierbäumen besteht, allein von vierzig adulten weiblichen Tieren ausgegangen.“ Hier wird also der Schutz der Bechsteinfledermaus nur vorgegaukelt, die Vorkommen der Tiere werden wissentlich außen vor gelassen! Laut Standarddatenbogen, dem Dokument zur Meldung der Gebietsdaten an die EU-Kommission, wird der Bestand für das Gebiet mit „51 – 100“ angegeben.
Beispiel 2: Im Gebiet sollen verschiedene, naturnahe Waldlebensräume wie z.B. Eichen-Hainbuchenwald oder Hainsimsen-Buchenwald geschützt werden. Die Verordnung stellt die Waldflächen mit den zu schützenden Lebensraumtypen de facto jedoch von jeglichem Schutz vor forstlichen Eingriffen frei. Denn sie lässt eine Nutzung solcher naturnahen Waldparzellen zu, wenn 20 % des Bestandes erhalten bleiben oder zu Altholz entwickelt werden, ohne dass dies als eine Verschlechterung des Erhaltungszustandes zu bewerten sein soll. Mit anderen Worten: ein alter Eichen-Hainbuchenwald darf zu darf zu 80 % gefällt werden (ggf. in drei Abschnitten oder drei Ausdünnungsschritten, wir machen ja keinen großflächigen Kahlschlag!!), wenn 20 % des Altholzbestandes stehenbleibt. Allerdings dürften auch diese 20 % entnommen werden, wenn auf der Parzelle 20 % des Bestandes wieder zu Altholz entwickelt werden sollen.
Die Verordnung sieht es also nicht als Verschlechterung des Erhaltungszustandes eines alten Waldes an, wenn nach seiner Beseitigung wenigstens 20 % wieder zu Altholzbeständen entwickelt werden.
Diese Regelung ist derart absurd, dass es widerstrebt, sachlich zu begründen, warum das den Schutzzielen der FFH-Richtlinie widerspricht, hier aber dennoch die Erläuterung. Die FFH-Richtlinie verpflichtet zur Erhaltung bzw. Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes. Wird dagegen eine Parzelle mit einem hervorragend erhaltenen alten Eichen-Hainbuchenwald oder einem Buchenwald bis auf 20 % (oder gar ganz) innerhalb eines kurzen Zeitraums entnommen, steht dort überhaupt kein Wald mehr, erst recht keiner, der einen naturschutzfachlich hervorragenden Erhaltungszustand aufweist. Für eine kurze Übergangszeit mag sich dort vielleicht noch die ursprüngliche Bodenvegetation halten, weshalb man so lange von einem rudimentären Entwicklungsstadium sprechen kann. Diese Pflanzen des Waldesinnern werden jedoch schnell durch Arten verdrängt werden, die an die lichten Verhältnisse und an plötzlich auftretende Offenflächen angepasst sind. Selbst wenn dann die standorttypischen Baumarten wieder angepflanzt werden, wird es viele Jahrzehnte dauern, bis sich die ursprüngliche, hervorragende Ausprägung eines alten Waldes erneut herausgebildet hat. Dann aber würde „das Spiel“ von vorne losgehen dürfen. Die Verordnung sichert also nicht den Erhalt und die Entwicklung eines günstigen Erhaltungszustandes, sondern erlaubt ausdrücklich das genaue Gegenteil. Sie läuft den Grundprinzipien der FFH-Richtlinie vollständig zuwider.
Der Landkreis Osnabrück hat damit für den „Gehn“ eine Regelung geschaffen, die allenfalls eine brüchige, höchst durchsichtige Fassade von Naturschutz darstellt. Tatsächlich täuscht sie Naturschutz aber nur vor. Die Auswertung der „Schutzgebiets“verordnungen für andere FFH-Gebiete bestätigen die Schlussfolgerungen, die für den „Gehn“ zu ziehen waren (weitere Auswertungen in Vorbereitung).
Diese Praxis des Landkreises Osnabrück (die man allerdings in vielfältigen Variationen auch anderswo in Deutschland und nicht minder gravierend vorfindet) wirft beispielhaft ein beschämendes Licht auf die deutschen Bemühungen, die Artenvielfalt (Biodiversität) zu sichern und europäisches Recht zu achten. Die Politik beschwört gern und häufig die Notwendigkeit des Artenschutzes, sie empört sich über die Missachtung von Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs oder europäischer Regeln in anderen EU-Mitgliedstaaten. Ein Blick hinter die Kulissen der bundesdeutschen Naturschutzpraxis belegt jedoch: Hier geht es mindestens genauso kritikwürdig zu!
Wem das alles noch nicht verwirrend genug ist, für den oder die dieses: Die Flächen zwischen den Schutzgebietsteilen bleiben durch das bisherige Landschaftsschutzgebiet geschützt. Die Regelungen sind nicht strenger und nicht schwächer, nur irgendwie anders und schlichter formuliert. Für das Management des zerfransten Schutzgebietes ist übrigens nicht etwa nur eine Stelle zuständig. Um einen Teil der Flächen kümmern sich die Forstämter, um andere der Landkreis selbst. Wie auf diese Weise eine abgestimmte Entwicklung des Schutzes erfolgen soll, bleibt rätselhaft.
Bleibt noch die hochinteressante Frage, wer diese unglaublichen Ergebnisse zu verantworten hat. Unterzeichnet wurde die Verordnung am Ende durch die Landrätin. Sie hatte an dieser Stelle aber nur noch unterschreiben, was vorher vom Kreistag als LSG-Verordnung beschlossen worden war. Aus den Umweltausschusssitzungen zu anderen FFH-Gebieten ist dokumentiert, dass die Kreistagsabgeordneten der Verwaltung zwar für ihre Arbeit gedankt und auch gegen „unsachliche Kritik durch einen Umweltverband“ in Schutz genommen haben. In Gesprächen stellte sich allerdings heraus, dass Abgeordnete, die der Verwaltung am lautesten applaudiert hatten, die Verordnung zum „Gehn“ gar nicht gelesen hatten. Die Verantwortung tragen die Kreistagsabgeordneten damit zwar weiterhin, es wird aber nicht nur für einzelne gelten, dass er oder sie nicht wusste, was sie oder er eigentlich tat.
Es darf ebenfalls ausgeschlossen werden, dass die zuständigen Sachbearbeiter aus eigener Überzeugung und freien Stücken diese vollkommen abwegigen Regelungen in die Verordnung geschrieben haben (z.B. Schutz der Bechsteinfledermaus im Wissen darum, dass die Vorkommen der Art außerhalb der Grenzen liegen).
Bisher lässt sich die tatsächliche Verantwortlichkeit daher nur irgendwo zwischen der abschließenden, politischen Entscheidungsebene und der Fachebene lokalisieren. Irgendwo hier wurde jegliche Fachlichkeit fallengelassen und die Naturschutzbelange rein wirtschaftlichen Interessen zum Fraß vorgeworfen. Mit solchen Präferenzen und Entscheidungsmechanismen wird es nicht gelingen, den Schutz der Natur und der Arten für künftige Generationen zu wahren.
So ganz nebenbei: Mit einer solchen Grundhaltung wird es übrigens auch nichts mit der Bewältigung der Klimakrise, für die viele konkrete Maßnahmen ebenfalls vor Ort angepackt werden müssen
Text und Fotos: Dr. Matthias Schreiber
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